FT-CI

Korruption, Spannungen und politische Krise

Chronik eines abdriftenden Italiens

05/01/2011

Von Francesco Fiore und Ciro Tappeste Rom, 16. Dezember 2010

Straßenschlachten in der Altstadt von Rom, gleichzeitig prügeln sich Abgeordnete im Parlament, der Cavaliere Berlusconi lächelt hinterlistig, als er erfährt, dass seine Regierung durch mickrige drei Stimmen gerettet ist, gleichzeitig besorgte Minen jedoch bei den wichtigsten Industriellen des Verbandes der italienischen Industrie Confindustria. Dies ist bildlich gesprochen, die Lage in der sich Italien in den letzten Stunden befand, und die sich nach dem Ende der Festtage vor dem Jahresende weiter vertiefen könnte.

Durch einen bedenklichen Zustand der nationalen Ökonomie, soziale Spannungen und einem vollends vergifteten politischen Klima, das von den zahlreichen mafiösen oder sexuellen Skandalen, in die sich die engsten Vertrauten des Premiers und Berlusconi selbst involvierten, gekennzeichnet ist, ist in den letzten Monaten die breite parlamentarische Mehrheit, die Berlusconi seit seiner Wahl 2008 genoss, stetig geschrumpft. Deshalb setzte Gianfranco Fini, zurzeit Präsident der Abgeordnetenkammer und ehemals rechter Arm Berlusconis sowie Gründer von „Zukunft und Freiheit für Italien“[1] darauf, Berlusconi das Vertrauen zu entziehen damit dieser aufgibt.

Trotz der Unterstützung der Mitte-links gerichteten Partito Democratico (Demokratischen Partei - PD), der Italia dei Valori (Italien der Werte - Idv), die liberale Antikorruptionsbewegung von Antonio Di Pietro[2], und der „Unione di Centro“ (Zentrumsunion - UDC) von Casini, haben sich die Prognosen von Fini als falsch erwiesen. Der Cavaliere wehrte mit nur drei Stimmen Vorsprung ein Misstrauensvotum äußerst knapp ab. Die drei Stimmen kamen von Abgeordneten aus verschiedenen Lagern, die sich in letzter Minute nicht dem Votum gegen Berlusconi anschlossen. Zwei von ihnen (Razzi und Scillipoti) kamen sogar aus der IdV von Di Pietro, jene parlamentarische Oppositionspartei, die als unnachgiebigste Kraft gepriesen wird. Diese Tatsache verlieh den Anschuldigungen Berlusconi hätte bestochen und Stimmen gekauft neuen Aufwind. Dabei handelt es sich um eine vollkommen plausible Hypothese, die in den letzten Tagen von mehreren Analysten aufgeworfen wurde. In diesem Sinne behauptete einer von ihnen „Italien, eines der wichtigsten Mächte der Welt, ähnelt immer mehr eine Bananenrepublik“.

Eine allgemeine Schwächung der wichtigsten bürgerlichen Vermittlungsinstanzen

Das Ergebnis der Parlamentsabstimmung vom Dienstag hat Berlusconi nicht gestärkt, mehr noch, dieses Ergebnis offenbart die Schwäche der Regierung, die sich mittels Zugeständnissen und Korruption und vor allem Dank der fremdenfeindlichen und reaktionären parlamentarischen Fraktion der Liga Nord von Umberto Bossi an der Macht hält. Es ist unwahrscheinlich, dass sich die Regierung mit einer so knappen Mehrheit lange im Parlament halten kann. Gleichzeitig wollen weder die Mitte-Links-Opposition (PD) noch das Mitte-Rechts-Bündnis von Fini (und noch weniger Berlusconi selbst) vorgezogene Wahlen ausrufen. Der Verband der Industriellen Confindustria befürchtet außerdem, dass vorgezogene Wahlen die reaktionäre Liga Nord Partei von Bossi stärken könnten. Dies ist der Grund dafür, dass sowohl das große Unternehmertum als auch der Präsident der Republik Napolitano die Alternative von Neuwahlen ausschließen. Deshalb war die Abstimmung vom Dienstag so wichtig: Nach Berlusconis Amtsniederlegung wäre der nächste Schritt die Bildung einer „technischen Regierung“[3] gewesen, die bis zu den vorgezogenen Wahlen um jeden Preis eine harte Kürzungspolitik hätte durchboxen sollen. Ähnliches hatte schon die Dini Regierung zwischen 1995 und 1996 nach dem Fall der ersten Berlusconi Regierung geleistet. So bereitete sie damals die Rückkehr des Mittelinks-Lagers an die Regierung mit dem Wohlwollen der herrschenden Klasse vor. Dies hat Fini nicht geschafft und nun ist er das Hauptopfer seiner eigenen List. Dies ist auch keine gute Nachricht für die Bourgeoisie, die somit einen seiner möglichen Kandidaten für das Premiersamt geschwächt sieht. Sein politisches Ìberleben ist nun von den politischen Schwankungen des katholischen Zentrums angeführt von Casini und den wechselnden Launen der italienischen Bischofskonferenz, die eng mit dem Vatikan verbunden ist, abhängig.

Institutionelle lähmung und der Protest von Studierenden und ArbeiterInnen

Wie der Ökonom Fabio Pammolli sagt, „es gibt zwei Risiken für Italien: Der Stillstand und die vorgezogenen Wahlen. Beide Hypothesen sind katastrophal für die Wirtschaft des Landes“. Das schlimmste für die Industriellen der Confindustria wäre, dass Berlusconi sich an den Regierungssitz klammert und noch mehr Öl ins Feuer der sozialen Unzufriedenheit gießt und als Katalysator eines Radikalisierungsprozesses fungiert, der sich in manchen Bereichen der subalternen Klassen vertiefen könnte. Deshalb auch die Panikmache nach der für Berlusconi vorteilhaften Parlamentsabstimmung in den wichtigsten Zeitungen des Landes nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen, die die Hauptstadt erschütterten.

Die von den Studierenden ausgerufene Demonstration vom 14. Dezember gegen die Universitätsreform der Ministerin Gelmini legte die Hauptstadt lahm, weil die Politiken der Regierung mittlerweile auch von anderen Sektoren in Frage gestellt werden. In der Tat verwandelte sich der Studierendenprotest in eine Demonstration der Avantgarde im Kampf nicht nur gegen Berlusconi und den Berlusconismus sondern auch gegen die ökonomische und soziale Offensive der verschiedenen Regierungen der italienischen Bourgeoisie in den letzten fünfzehn Jahren. Als die Demonstranten auf den Straßen Roms den Ausgang des Vertrauensvotums erfuhren, verwandelte sich die Demonstration in eine wahrhafte Schlacht, mit 50 Verletzten auf Seiten der Polizei und 40 bei den Demonstranten sowie 40 Verhafteten. Es waren die heftigsten Auseinandersetzungen seit den Julitagen von 2008 in Genua anlässlich des G8 Gipfels, allerdings in etwas kleinerem Umfang. Wie damals haben die linksliberalen Medien auch diesmal die Schuldigen an den Ausschreitungen bei den Agents Provocateurs der Polizei ausgemacht, um das „Chaos“ bei den studentischen Protesten zu erklären. Abgesehen davon, dass die italienische Polizei eine lange Geschichte von Infiltrationen aufweisen kann, wurden die Auseinandersetzungen doch von einer weitreichenden studentischen Avantgarde getragen, die durch die Wut über die Lage Italiens und die sie erwartende düstere Zukunft angetrieben wird. Die Ereignisse von Rom können als ein erster Akt eines tiefgreifenderen Aufstands der Jugend betrachtet werden. Sie gehen einher mit den Auseinandersetzungen der letzten Wochen in London, wo Studierende gegen die Erhöhung der Studiengebühren auf die Straße gingen, oder den Protesten während des Generalstreiks gegen die Kürzungspläne der „sozialistischen“ Regierung von Papandreu in Athen. Die einzige Hoffnung für die Lohnabhängigen und die Jugend Italiens (ob mit oder ohne Migrationserfahrung), liegt in der Radikalisierung des sozialen Protestes. In den letzten Wochen haben die Streiks der migrantischen Lohnabhängigen die Titelseiten wieder einmal besetzt. Mitte Oktober haben die Metallarbeiter der FIOM[4] durch eine Massendemonstration in der Hauptstadt ihre Ablehnung gegenüber der Regierungspolitik, gegen die kapitalistische Krise und gegen die Strategie der Klassenkollaboration der Führung der CGIL zum Ausdruck gebracht. Diese Unzufriedenheit wird zurzeit noch von der „linken“ Bürokratie der FIOM gesteuert. Ähnlich wie bei den Studierendenprotesten, die früher noch im von den traditionellen Führungen aufgezwungenen Rahmen stattfanden, kann jedoch nun nicht mehr ausgeschlossen werden, dass auch der Protest der Lohnabhängigen nicht plötzlich ausbricht und aus dem Ruder läuft und somit die Situation in der sich die italienische Halbinsel befindet aus proletarischer Sicht in Frage stellt.

Dies wäre die einzig wahrhaft alternative Antwort auf den Rechtspopulismus und die Fremdenfeindlichkeit (Lega Nord), die Ohnmächtigkeit des Mitte-Links-Lagers (Di Pietro) oder auf die Politik des Großkapitals, die sich in den letzten Jahren gegenseitig bekräftigt haben und eine bürgerliche Antwort auf die politische und institutionelle Krise der sogenannten “II. Republik” geben wollen. Statt Probleme zu lösen, hat sie der Berlusconismus nur vertieft und verschärft. Angesichts der lähmungserscheinungen in der Regierung und in der herrschenden Klasse, könnte die Stimme der Arbeiterklasse und der Jugend viel lauter erklingeln. In den nächsten Monaten wird viel davon abhängen, welche Ausrichtung die FIOM, der Basissyndikalismus (USB) und die italienische Linke insgesamt annehmen. Ein vor kurzem abgehaltener erster Kongress der Föderation der Linken (FdS) hatte das Ziel die verschiedenen “kommunistischen” Parteien wieder zu vereinigen und seine wichtigsten Sprecher haben die Möglichkeit zur Unterstützung einer linkszentristischen Regierung als Alternative zum Berlusconimus in Aussicht gestellt.

Hierzu ist zu aller erst jedoch eine klare Bilanz der schädlichen Erfahrung von Rifondazione Comunista (PRC) und der PdCI zu ziehen, die sich in den letzten fünfzehn Jahren den verschiedenen Regierungsvarianten des Mitte-Links-Lagers unterordneten um sich vor einer Wiederholung der selben Fehler zu hüten und eine wirkliche revolutionäre Alternative der Arbeiterklasse aufzustellen.

Wir werden die politische Lage in Italien in den nächsten Wochen weiter verfolgen und unsere Analysen unter www.ft-ci.org zur Verfügung stellen.


Fußnoten

[1] „Zukunft und Freiheit für Italien“ (Futuro e libertà per l’Italia) ist eine Gruppierung unter Fini, die versucht die Partei Berlusconis durch einen moderateren sozialalternativeren Mitte-Rechts-Diskurs zu ersetzen.
[2] Di Petro war Mailänder Staatsanwalt im Fall von „Mani Pulite“ (deutsch Saubere Hände, sinngemäß Weiße Weste) , also der umfangreichen juristischen Untersuchungen gegen Korruption, Amtsmissbrauch und illegale Parteifinanzierung auf politischer Ebene in Italien Anfang und Mitte der 90er Jahre, die zum Ende der sog. I.Republik führten.
[3] Die technische Regierung (ital. governo tecnico) ist eine vom Staatspräsidenten ernannte Ìbergangsregierung, die sich dadurch auszeichnet, dass der Ministerpräsident und evtl. auch die Minister parteilose Fachleute und Experten aus dem staatlichen Beamtentum oder der Bourgeoisie sind. Eine solche Regierung wird in Italien dann gebildet, wenn eine schwere politische Krise vorhanden ist, etwa nach dem Fall einer Regierung, und es gilt, wichtige Reformen zu verabschieden.
[4] Die FIOM (Federazione Impiegati Operai Metallurgici) ist die Metallarbeitergewerkschaft des linkeren Gewerkschaftsbundes CGIL, die auch politische Forderungen wie den Rückzug aus Afghanistan vertritt und somit zu einem Pol linker Gewerkschaftler und Aktivisten wurde.

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