Venezuela
Verstaatlichungen à la Chavez
18/06/2009
Venezuelas Präsident Hugo Chávez hat die Verstaatlichung weiterer Unternehmen im Stahl- und Keramikbereich angekündigt, auch Unternehmen zur Herstellung von Eisenbriketts sollen nationalisiert werden. Betroffen sind in diesem Bereich die Unternehmen Comsigua, Materiales Siderúrgicos (Matesi), Orinoco Iron, Venprecar und Tubos Tavsa. Weiter kündigte Chávez auch die Verstaatlichung des Keramikunternehmens Cerámicas Carabobo an. Von den Verstaatlichungen betroffen sind mehrere japanische und argentinische Konzerne. Wie zu erwarten war, protestierten die örtlichen Unternehmer sowie die Handelskammern aus Argentinien angesichts dieser vermeintlichen „Attacken Chávez´ gegen das Privateigentum“.
Die Arbeiter der betroffenen Firmen wiederum, die sich seit Monaten in einem voranschreitenden Kampf befinden, sehen diese Verstaatlichungen als einen Triumph an.
Mit dieser Maßnahme weitet Chávez seine Kontrolle auf die gesamte Eisen- und Stahlproduktion des Landes aus, aber gleichzeitig versucht er damit auch, das hohe Konfliktpotential und die Gewerkschaftskrise einzudämmen, welche seit Monaten in dieser Region bestehen.
Kauf der „nationalen Souveränität“
Selbst wenn es sich bei den zu verstaatlichenden Industrien nur um mittlere Unternehmen handelt und sie keine sehr große Anzahl an Arbeitern aufweisen, belaufen sich letztere doch auf insgesamt 2000. Zudem werden einige dieser Firmen von ausländischem Kapital kontrolliert: 50,2% der Aktien des Eisenbrikettherstellers Matesi werden von Ternium (der transnationalen Gruppe Techint) kontrolliert, 49,2% von Sidor (dem wichtigsten Stahlprodzenten Venezuelas). Die Mehrheit der Aktien des Stahlproduzenten Tavsa (70%) liegt bei der Techint Gruppe; Comsigua befindet sich zu 60% in den Händen der japanischen Firma Kobe Steel.
Wie wir sehen, ist das, was Chavez macht, nicht mehr und nicht weniger als sich die von ihm beschriebene „nationale Souveränität“ direkt zu erkaufen. Er positioniert sich wieder in den Schlüsselindustrien des Landes, zahlt tausende Millionen von Dollar1 an internationale Kraken, obwohl diese Firmen ohne jegliche Form von Abfindungen enteignet werden müssten. Während die Stürme der Wirtschaftskrise auf Venezuela zuwehen, die Regierung Haushaltskürzungen vornimmt und die Mehrwertsteuer als auch die Grundkosten erhöht, zahlt sie die Transnationalen weiterhin ehrerbietig aus. Diese Zahlungen führen zu nichts als einer weiteren Schröpfung des Finanzhaushaltes. Daher sollten diese Unternehmen ohne jegliche Zahlungen enteignet werden und in die direkte Arbeiterkontrolle übergehen. Das daraus entstehende Potenzial müsste für die dringenden Bedürfnisse der Bevölkerung genutzt werden, die durch die Abkommen der Regierung von Arbeitslosigkeit bedroht ist und deren Lebensniveau immer weiter sinkt.
Geschäftlicher Pyrrhussieg
In einem in der Zeitschrift „Lucha de Clases“2 publizierten Artikel stellten wir dar, dass sich Chavez nach dem Referendumssieg vom 15. Februar und der Niederlage im Referendum vom 2. Dezember 2007 zeitweise wieder erholen konnte. Diese Situation nutzte er zweifach für sich: einerseits um die Kontrolle über die Massen und die Arbeiterbewegung wiederzugewinnen und andererseits um weitere strategische Unternehmen der venezolanischen Industrie in die Umlaufbahnen des Staates zu überführen. So ist festzustellen, dass Chavez sich wieder erholen konnte: Dies verdeutlichen nicht nur die Umfragewerte von fast 60% Unterstützung, sondern auch der – zumindest momentane- Rückgang der Offensive, die die rechte Opposition nach dem 2. Dezember gestartet hatte.
Es lässt sich also erkennen, dass die venezolanische Regierung seit Februar ihren „Verstaatlichungen“ im Erdgas-, Banken- und Industriesektor einen deutlichen Anstoß gegeben hat. Was Chavez Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, ist die Weiterverfolgung seines Plans, die strategischen Sektoren der Ökonomie angesichts einer angespannten Wirtschaftslage, höherer Inflation und geringeren Öleinnahmen zu kontrollieren. Nach Ansicht vieler Beobachter würde eine Erholung dieser ökonomischen Sektoren nur durch staatliche Zuschüsse möglich sein. Doch aktuell ist der finanzielle Muskel der Regierung recht schwach: weniger Ressourcen und mehr Sachzwänge, außerdem führt der Einsturz der Ölpreise zu einem drastischen Rückgang der Divisengewinne. Der Durchschnittspreis des venezolanischen Rohöls zeigt seit 2008 einen Rückgang von 51% auf und auch die Exporteinnahmen sanken im ersten Quartal um 55%. Nach eigenen Daten der Zentralbank sind die Aktivitäten in der Rohölindustrie im ersten Quartal um 4,8% des BIPs gefallen. Sie betragen also nur noch 9,8 Milliarden Dollar Gewinn (im Vergleich zu 20,4 Milliarden im Vorjahr) aufgrund des geringeren Produktionsvolumens und der fallenden Exporteinnahmen.
Die Regierung steht sowohl im Ölsektor als auch in anderen Bereichen vor wirklichen Zahlungsschwierigkeiten und ist sowohl bei Auftragsgebern als auch bei Zulieferern verschuldet. Dies bringt auch eine konfliktbehaftete Situation zwischen den Arbeitern dieser Industrien hervor, da die Unternehmensführungen die staatlichen Schulden für ihre Nachlässigkeit bei der Einhaltung ihrer Verpflichtungen verantwortlich machen. So erklären einige Beobachter, dass die Regierung abgesehen von der Kontrolle über zentrale Industrien „die Verstaatlichungen vorantreibt, um ihre Schulden bei Zulieferern zu umgehen, indem sie anstatt die ausstehenden Zahlungen vorzunehmen oder Hilfsgelder zu beantragen, einfach die Unternehmen übernimmt und so zu ihrem Eigentum macht“. (Luis Vicente León, Datanálisis, 25/5). So beispielsweise im Fall von Tavsa, ein Subunternehmen des wichtigsten Stahlproduzenten Venezuelas Sidor: Pdvsa (die staatliche Erdölindustrie) als sein quasi einziger Klient erwirbt 95% seines Produktionsvolumens und schuldet Tavsa 50 Millionen Dollar – Tavsa wiederum schuldet Sidor etwa 12 Millionen Dollar. Tavsa schob nun, um Druck auszuüben, ihre Arbeitspflichten auf die lange Bank und führte seine Arbeiter zum Kampf, was letztendlich zur Stilllegung der Produktion führte.
Ìber die eigentlichen Absichten der Regierung Chavez beim Vordringen in diese Unternehmen kann viel spekuliert werden, vor allem aufgrund der Einbußen in Dollardivisen durch den Abfall der Ölpreise. Tatsache ist, dass Chavez sich Unternehmen mitten in der Krise annimmt und reichlich investieren müsste, um sie wiederzubeleben – und inmitten der Weltwirtschaftskrise nehmen transnationale Unternehmen die Gelegenheit war, besonders teuer zu verkaufen. Wie Pyrrhus im Kriege ruft Chavez den Sieg auf Kosten einer großen Ungewissheit und des Ausblutens der Wirtschaft aus, obwohl er die nach Gewinn Lechzenden sofort hätte konfiszieren können.
Arbeiterkämpfe durchkreuzen Chavez‘ Maßnahmen
In Venezuela ist eine neue Phase der Arbeiterbewegung zu beobachten, die objektiv wiedererstarkt und wichtige Kämpfe anführt. Chavez versucht die radikalisierten Arbeiterkämpfe zu disziplinieren und bedroht angesichts der ansteigenden Streikwellen sogar die Arbeiter der staatlich kontrollierten Unternehmen.. Drei Kämpfe drohten zu einer Zeitbombe zu werden, alle in erst kürzlich „verstaatlichten“ Unternehmen wie dem Eisenproduzenten Matesi, der Keramikfabrik Carabobo und dem Stahlproduzenten Tavsa.
Als Chavez seine letzten Maßnahmen verkündete, hatten die Arbeiter von Matasi bereits sechs Monate Arbeitskampf hinter sich, in denen sie keinen Lohn erhielten. Diese harte Entscheidung der Techint Gruppe, zu der das Unternehmen gehört, war die Antwort auf den Protest, der sich gegen die Streichung von Arbeitsschichten und der damit einhergehenden Entlassungswelle formiert hatte. Die Arbeiter leisteten trotz Lohnstreichung weiter Widerstand und riefen den Streik aus. Das Unternehmen rechtfertigte die Situation durch die Wirtschaftskrise, doch die Arbeiter wussten, dass andere Interesse dahinter standen und hatten Recht: Techint forcierte das staatliche Eingreifen, um die „Verstaatlichung“ zu ermöglichen und Gewinn zu erzielen, vor allem in Anbetracht der sehr gut verlaufenden Verhandlungen bei Sidor. Die Arbeiter hatten die Regierung bereits aufgefordert, sich mit der Enteignung des transnationalen Unternehmens zu befassen, da dieses gegen ihre Rechte verstoße. So versicherten die Arbeiter: „Es kann nicht sein, dass wir es sind, die für das Scheitern des Kapitalismus geopfert werden – sollen die Manager doch ihre eigenen löhne senken“. Auch im Stahlunternehmen Tavsa war die Situation nicht viel anders. Hier lag bereits seit drei Monaten die Produktion still. Dies war eine Art lock-out (Aussperrung), da mit dem Argument der staatlichen Schulden von 55 Millionen Dollar massive Entlassungen vorgenommen wurden. Die Arbeiter verharrten trotzdem im Kampf und forderten, dass ihre Fabrik wie Sidor verstaatlicht werden solle.
In der Keramikfabrik Carabobo wurde ebenfalls gestreikt und die Fabrik war seit 6 Monaten von ihren Arbeitern besetzt. Im Oktober 2008 hatte die Firmenführung den Arbeitern das Dekret zur Stilllegung der Ziegelöfen und technischen Schließung aus angeblich finanziellen Gründen bekannt gegeben. Die Arbeiter wehrten sich gegen die Werksschließung und hielten die Maschinerien weiterhin instand - damit verkündeten sie den Beginn des Konflikts. Die Arbeitgebervertreter versuchten das Unternehmen unter anderem Namen neu zu eröffnen, um so ihre Pflichten gegenüber den Arbeitern zu umgehen und Arbeitsplätze zusammenzu- streichen. Doch die Arbeiter durchschauten diesen Trick, besetzten sofort ihre Fabrik und forderten die Verstaatlichung des Werks.
Die Regierung versucht die Arbeiterkämpfe einzudämmen, indem sie sehr kostenspielige Abfindungen an die großen nationalen und internationalen Unternehmer zahlt. Doch auch noch nachdem die Unternehmen in staatliche Hände übergegangen sind, bestehen Probleme wie die prekären Arbeitsverhältnis und die Auslagerung von Teilen der Produktion weiter – dies lässt sich zur Zeit bei Sidor, aber auch in den Erdölraffinerien erkennen.
Während sich verschlimmernde Probleme wie der Wohnungsnotstand, die ansteigenden Lebenshaltungskosten und der Reallohnverfall durch die Inflation weiterhin ungelöst bleiben, entschädigt Chavez die großen transnationalen Unternehmen durch seine angepriesene Politik der „nationalen Souveränität.“ Dem entgegen zu setzten seien folgende Kampfparolen:
- Nicht einen Cent für die lokalen und transnationalen Wirtschaftsriesen!
- Keine Abfindungen für zu verstaatlichende Unternehmen!
- Enteignung ohne Ausgleichszahlungen aller Unternehmen, die mit Entlassungen drohen, und Ìberführung in die direkte Arbeiterkontrolle!
Fußnoten
1 Chavez zahlte beispielsweise 4.143 Millionen US-Dollar für Sidor.
2„Lucha de Clases“(deutsch: Klassenkampf) ist eine regelmäßig in spanischer Sprache erscheinende Zeitschrift marxistischer Theorie und Politik der argentinischen GenossInnen der Trotzkistischen Fraktion, einzusehen unter: http://www.ips.org.ar