FT-CI

Der Anführer der argentinischen Keramikfabrik Zanon, welche seit über zehn Jahren unter ArbeiterInnenkontrolle produziert, sprach in Berlin vor über 120 Menschen

Erfolgreicher Abschluss der Europareise von Raúl Godoy

02/06/2013

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von Stefan Schneider

Die Europareise von Raúl Godoy führte den Arbeiter und Anführer der „Fabrik ohne Chefs“, Abgeordneten im Provinzparlament Neuquéns für die „Front der Linken und der ArbeiterInnen“ und Anführer der Partei Sozialistischer ArbeiterInnen (PTS, argentinische Sektion der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale), innerhalb von zwei Wochen durch vier länder: Frankreich, Spanischer Staat, Griechenland, und am 25. Mai zuletzt Deutschland.

Der Anlass der Reise war die internationalistische Ìberzeugung, „dass die ArbeiterInnenklasse keine Grenzen hat. Die Krise ist international und macht eine Antwort vom Standpunkt der ArbeiterInnen notwendig.“ Godoy wollte die Erfahrung der ArbeiterInnen von Zanon nach Europa bringen und einen Austausch mit den wichtigsten Phänomenen des aktuellen Klassenkampfes in Europa, insbesondere in Griechenland, beginnen. Denn dort beginnen sich heute, nach über fünf Jahren der Weltwirtschaftskrise, Erfahrungen von Fabrikbesetzungen und selbstverwalteter Produktion der ArbeiterInnen, ganz ohne ihre Bosse, zu entwickeln. Noch sind diese Erfahrungen jedoch vereinzelt und isoliert. Emblematisches Beispiel ist dafür die griechische Baustofffabrik Vio.Me in Thessaloniki: Während in dem krisengeschüttelten Land eine Arbeitslosigkeit von offiziell 30% (bei der Jugend sogar über 60%) herrscht, ist Vio.Me momentan die einzige Fabrik, in der die ArbeiterInnen die Produktion unter Eigenregie aufgenommen haben.

So war denn die Reise von Raúl Godoy einerseits der praktischen Solidarität und dem Erfahrungsaustausch mit einer Fabrik wie Zanon, die seit über zehn Jahren selbstverwaltet produziert und dabei sogar neue Arbeitsplätze schaffen konnte, gewidmet, und andererseits der Diskussion um eine darüber hinaus gehende Antwort der ArbeiterInnen auf die Krise. Denn so wichtig die einzelnen Erfahrungen der ArbeiterInnenkontrolle sind – da sie eine konkrete Perspektive gegen die Arbeitslosigkeit und den Hunger und für die Entwicklung eines Bewusstseins sind, dass die ArbeiterInnenklasse nicht nur Opfer der Krise und der KapitalistInnen sein muss, sondern auch eine eigenständige Kraft entwickeln kann, die Produktion selbst zu übernehmen – können sie allein weder die aktuelle Krise noch die kapitalistische Konkurrenz überwinden. Daher versuchte Godoy auch aufzuzeigen, dass Zanon nur ein „Schützengraben“, ein Ort des Widerstands ist – und kein Selbstzweck –, von dem aus weitere Kämpfe geführt und weitere Orte, und letztlich die Macht erobert werden müssen.
Große Veranstaltung in Berlin zum Abschluss der Reise

All diese Erfahrungen und Ìberzeugungen brachte Godoy nach seiner intensiven Europareise nach Berlin mit. Im imposanten Konferenzsaal des IG-Metall-Hauses in Berlin-Kreuzberg sprach er vor über 120 Menschen über Zanon und die Lehren, die er, die ArbeiterInnen von Zanon und die PTS, aus dem seit über zehn Jahren andauernden Kampf gezogen haben.

Vor dem gut gemischten Publikum aus AktivistInnen aus vielen Gruppen der radikalen Linken, GewerkschafterInnen und anderen Interessierten betonte Godoy mehrfach: „Viele sagen, Zanon sei ein Ausdruck der besonderen Bedingungen der Krise von 2001 in Argentinien. Doch Zanon ist nicht vom Himmel gefallen.”

„Seit über 20 Jahren arbeite ich in der Fabrik, und am Anfang waren die Bedingungen sehr hart“, erinnerte sich Godoy. Ein kleiner Kern von politischen AktivistInnen fing an, ihre KollegInnen zu organisieren – nicht nur mit gewerkschaftlichen Fragen, sondern auch mit Grillfesten und Fußballspielen. „Jede Abteilung der Fabrik bildete eine eigene Mannschaft, und jede Mannschaft wählte einen Delegierten, um das Spiel zu koordinieren. Damit hatten wir schon ein erstes Netzwerk von Kollegen”, so Godoy.

Kämpferische ArbeiterInnen gründete eine Gruppierung, die für mehrere Punkte eintrat: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, gegen Leiharbeit und Prekarisierung, und für demokratische Vollversammlungen als Entscheidungsorgan. Diese „Lista Marrón” oder „Braune Liste” (braun ist die Farbe der klassenkämpferischen Gewerkschaftsbewegungen seit den 70er Jahren in Argentinien) konnten bei Zanon zuerst den Betriebsrat und dann die Gewerkschaft aller KeramikarbeiterInnen der Stadt von der Bürokratie zurückerobern.

Als die Wirtschaftskrise im Jahr 2001 ausbrach, konnten sie Bündnisse mit Arbeitslosen, Studierenden und anderen besetzten Betrieben bilden. Die erkämpfte Selbstverwaltung verteidigten sie gegen mehrere Räumungsversuche und erzwangen schließlich im Jahr 2009 die Enteignung durch das Parlament. „Früher haben wir ArbeiterInnen nach der Schicht unsere Arbeitsklamotten gleich ausgezogen, denn man schämt sich dafür, dass man ausgebeutet wurde.“ Doch Godoy trägt sein braunes Hemd mit Gewerkschaftslogo auch in Europa: „Heute ziehen wir Zanon-ArbeiterInnen unsere Hemden nicht mal zum Schlafen aus“, denn es sei zum Symbol für den Kampf gegen die Ausbeutung geworden.

Godoy hatte am Vortag die besetzte Baustofffabrik Vio.Me, in der 38 Arbeiter seit drei Monaten produzieren. Dort erzählte er von den zahlreichen Problemen bei Zanon in den ersten Jahren (etwa der Mangel an einer legalen Form, um die Produkte offen verkaufen zu dürfen), die die Vio.Me-Arbeiter gerade auch erleben. Auf der Veranstaltung in Berlin wurden zur Unterstützung über 250 Euro eingesammelt, als kleines Zeichen internationaler Solidarität, damit Vio.Me den Kampf für eine Alternative zu Fabrikschließungen, Arbeitslosigkeit und Misere – der für uns ein Kampf für die entschädigungslose Verstaatlichung unter ArbeiterInnenkontrolle sein muss – weiterführen kann.

„Doch Kooperativen sind keine lösung an sich”, schloss Godoy seine Ausführungen. „Wir haben nur eine Ìbergangsform des Widerstandes. In der Fabrik haben wir eine gewisse Freiheit erkämpft, aber vor dem Tor herrscht ein kapitalistisches System in der Krise.” Deswegen werde die Zukunft der Zanon-ArbeiterInnen durch sie selbst, sondern durch den Klassenkampf aller ArbeiterInnen weltweit entschieden.

In diesem Sinne betonte Godoy mehrfach die Rolle der Solidarität und der Zusammenführung verschiedenster Kämpfe, mit der Perspektive, dass die ArbeiterInnenklasse die Forderung der entrechteten Schichten der Bevölkerung aufnimmt und sie sich zu Eigen macht. Das, was Zanon letztlich von anderen Kooperativen in Argentinien unterscheidet, ist das Selbstverständnis, nur eine Bastion im Kampf zu sein, von der aus andere Kämpfe – seien sie wirtschaftlich, politisch oder sozial – unterstützt werden müssen, in der Perspektive der Notwendigkeit einer sozialistischen Revolution.
Zanon ist ein Beispiel für die Zukunft des Klassenkampfes in Europa, und auch in Deutschland

Gegenüber dem Pessimismus der radikalen Linken in Europa und besonders auch hierzulande, dass das mangelnde Bewusstsein und die geringe Kampfbereitschaft der ArbeiterInnen eine offensive Antwort auf die Krise unmöglich mache, stellte er in seinen Ausführungen über die Zeit vor der argentinischen Krise von 2001 heraus, wie passiv und konservativ die ArbeiterInnen von Zanon waren, als Godoy mit Hilfe der PTS in der Keramikfabrik seine politische Arbeit begann. Nur durch die Unterstützung einer Organisation mit einem revolutionären Programm und einer Methode – der des Ìbergangsprogramms –, die konkreten Sorgen der ArbeiterInnen mit einer Perspektive der Selbstorganisation, der Selbstverwaltung und letztlich der Ìbernahme der Macht durch die ArbeiterInnenklasse zu verbinden, gelang es Godoy und seinen GenossInnen, die Grundlagen dafür zu legen, dass 2001 die Fabrik besetzt und bis heute gehalten werden konnte. Und so konnten sie beweisen, dass sich die ArbeiterInnenklasse und die radikale Linke nicht mit der „Misere des Möglichen“ zufrieden geben, sondern die Voraussetzungen schaffen muss, das Notwendige zu tun. Der Aufbau einer revolutionären Partei ist dafür unerlässlich.
Video der Veranstaltung

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