Interview: Fabrik unter ArbeiterInnenkontrolle in Griechenland
03/03/2013
Von Wladek Flakin
Griechische ArbeiterInnen bringen ihre stillgelegte Fabrik wieder in Gang. Ein Gespräch mit Theodoros Karyotis, Sprachlehrer und Aktivist der Solidaritätsinitiative für den Kampf der Vio.Me-ArbeiterInnen in der griechischen Hafenstadt Thessaloniki
Vor anderthalb Wochen haben die 40 ArbeiterInnen der stillgelegten Baustofffirma Vio.Me in Thessaloniki die Produktion wieder aufgenommen – in eigener Regie. Wie ist es dazu gekommen?
Vio.Me wurde im Mai 2011 von den BesitzerInnen aufgegeben, obwohl es ein profitables Unternehmen war. Daraufhin hat die unabhängige Gewerkschaft der ArbeiterInnen, die alle Entscheidungen demokratisch trifft, die Fabrik besetzt, um den Abtransport der Maschinen und des Rohmaterials zu verhindern.
Danach verlangten die ArbeiterInnen die Zahlung der ausstehenden löhne – wie in vielen anderen Fällen in diesem Land ein hoffnungsloser Versuch. Nach mehreren ergebnislosen Gesprächen mit Behörden beschlossen sie, grundsätzlich anders vorzugehen: Sie wollten die Fabrik in ihre eigenen Hände nehmen. Die Vorbereitungen dazu dauerten etwa ein Jahr.
Welche waren das?
Es wurde schnell klar, dass der Staat eher blockieren würde als zu helfen. Die KollegInnen wollten nicht weiter auf Genehmigungen oder selbst auf die ihnen zustehenden Subventionen warten, sondern griffen zur Selbsthilfe: Sie beschlossen, die Produktion wieder aufzunehmen und dafür Spenden aus der großen Solidaritätsbewegung einzuwerben.
Am 10. Februar gab es eine große Versammlung der ArbeiterInnen mit den UnterstützerInnen; am Tag darauf eine Demonstration durch die Stadt und anschließend ein Konzert mit 5.000 BesucherInnen. Am 12. zog dann eine Demonstration vor das Fabrikgebäude, wo die ArbeiterInnen vor den Augen von 400 SympathisantInnen und vielen JournalistInnen die Arbeit wieder aufnahmen.
Wie verwalten sie die Fabrik?
Die Belegschaft hat einen gewählten Sprecher, aber alle wichtigen Entscheidungen trifft die Vollversammlung der Gewerkschaft. Es gibt auch offene Treffen der ArbeiterInnen mit der Solidaritätsinitiative, um die Kampagnen der UnterstützerInnen zu koordinieren.
Woher stammt das Betriebskapital?
Natürlich bekommen wir keine Bankkredite. Es hat aber einige Einnahmen durch das Solidaritätskonzert und durch Spenden gegeben, so dass die Fabrik einige Monate über die Runden kommen kann. Wir untersuchen gerade, ob es längerfristige Finanzierungsmöglichkeiten gibt.
Es ist eine enorme Herausforderung, ausgerechnet während einer Rezession wieder auf den Markt kommen zu wollen. Wir sind aber optimistisch: Die Produkte können mit Hilfe sozialer Bewegungen über die Strukturen der solidarischen Ökonomie im ganzen Land verkauft werden, eventuell gibt es auch Bedarf in anderen Balkanländern. Die Fabrik stellt Baumaterialien wie Mörtel, Putz, Klebstoff für Fliesen usw. her. Es gibt auch Diskussionen über die Produktion von umweltverträglichen Putzmitteln für den Haushalt.
Die ArbeiterInnen wissen am besten, wie sie die Qualität erhöhen können – und da der Profit für die Bosse wegfällt, werden die Produktionskosten sinken.
Welche Unterstützung gibt es aus der Bevölkerung? Und von den großen Gewerkschaften?
Ein großer Teil der Bevölkerung steht hinter uns, es gibt eine enorme Solidaritätswelle für den Kampf der ArbeiterInnen, um eine Zukunft für ihre Familien zu garantieren. Die großen Gewerkschaftsdachverbände, die von politischen Parteien kontrolliert werden, haben bislang kein Interesse gezeigt oder sich gar feindselig verhalten. Von unabhängigen und Betriebsgewerkschaften gibt es jedoch viel Unterstützung.
Welche Bedeutung hat dieses “Experiment” vor dem Hintergrund der sozialen Katastrophe in Griechenland?
Die EU hat eine brutale Umstrukturierung im neoliberalen Sinne verfügt. Für die GriechInnen aber heißt das: galoppierende Arbeitslosigkeit, Gehalts- und Pensionskürzungen, Einschränkungen der sozialen und Arbeitsrechte, Abbau der Gesundheits- und Bildungssysteme sowie Umweltzerstörung.
Wir haben gelernt, dass sich ArbeiterInnen nur dann wehren können, wenn sie sich organisieren. Die Mächtigen bekommen Angst, wenn sie wissen, dass wir nicht betteln, sondern uns nehmen, was wir brauchen.
Vio.Me ist nicht der einzige Betrieb, den ArbeiterInnen in Eigenregie betreiben. Gibt es so etwas wie einen Erfahrungsaustausch?
Die Vio.Me-ArbeiterInnen hatten von Anfang an Kontakt zu ähnlichen Erfahrungen in Griechenland und im Ausland, zum Beispiel mit der Zeitung “Eleftherotypia”, die eine Zeitlang unter ArbeiterInnenkontrolle funktionierte. Vor allem mit der Zanon-Fabrik in Argentinien, in der schon seit zwölf Jahren die ArbeiterInnen das Kommando haben, sind wir seit dem Sommer in Kontakt. Wir arbeiten daran, beim Aufbau eines internationalen Netzwerkes zu helfen – Organisationen oder interessierte Einzelpersonen können uns über unsere mehrsprachige Website erreichen.