Proteste an der FU Berlin
11/06/2012
Von Wladek Flakin
Das Präsidium der Freien Universität Berlin sah am Mittwoch zeitweise wie eine belagerte Festung aus: Mehrere hundert Studierende drängten auf die Eingangstür, um in das Gebäude zu gelangen. Hintergrund der Belagerung ist eine neue “Rahmenprüfungsordnung”, die das Präsidium ohne die Einbeziehung studentischer Gremien entworfen hat. Diese sieht unter anderem vor, dass Prüfungen nur noch zwei Mal wiederholt werden können und dass Zwangsberatungen bereits ab dem dritten Semester verordnet werden können. AStA-Referent Michael Beron sieht darin einen Versuch, “einen enormen Leistungs- und Konformitätsdruck” zu erzeugen.
Um darüber zu diskutieren, kamen rund 700 Studierende am vergangenen Mittwoch zu einer Vollversammlung. Sie verabschiedeten einen Brief an die Unileitung mit der Aufforderung zu einem Runden Tisch. Diesen Brief wollten sie auch mittels einer Demonstration persönlich übergeben. Aber als am Präsidium die Jalousien heruntergezogen und die Tür versperrt wurden, kam es zu den mittelalterlichen Szenen. Dabei wurde mindestens ein Student vom Sicherheitspersonal verletzt. “Das ist bereits das dritte Mal in diesem Semester, dass Leute Forderungen erheben und dafür in die Fresse gehauen werden”, sagte eine Studentin am Megafon. Noch im November hatte Präsident Peter-André Alt 70 Studierende, die einen Seminarraum besetzt haben, nach wenigen Stunden von der Polizei räumen lassen.
Schließlich kam es doch zu einer Diskussion mit VertreterInnen des Präsidiums, die sich selbst als “gesprächsbereit” bezeichneten, aber die Teilnahme an einem Runden Tisch sowie jeden anderen konkreten Vorschlag zu einem Gespräch ablehnten. Dabei gab auch Unikanzler Peter Lange zu, dass während seines Studiums weitaus weniger Leistungsdruck herrschte. Aber die Zeiten haben sich eben geändert – an anderen Unis gibt es ebenfalls solche restriktive Maßnahmen.
Damit machen sie deutlich, dass die neue Rahmenprüfungsordnung tatsächlich Teil eines gesamtgesellschaftlichen Prozesses ist – Leistungsdruck, Unsicherheit und Kontrolle von oben breiten sich in der Arbeitswelt noch stärker aus als in der Akademie: Prekarisierung, Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, Senkung der löhne, Hartz IV usw. usf. Auch für die Beschäftigten an der Universität werden die Gremien untergraben, da zum Beispiel in der Mensa immer mehr LeiharbeiterInnen eingesetzt werden, die keinen Personalrat oder ähnliches haben. Deswegen können wir uns nicht darauf beschränken, an der Universität zu protestieren. Nur wenn sich alle Betroffene von diesem Prozess – Studierende, Arbeitende, Arbeitlose – sich gemeinsam zur Wehr setzen, können wir genug Druck machen, um unsere Forderungen durchzusetzen.
Dass PräsidiumsvertreterInnen sich im letzten Moment “gesprächsbereit” zeigten, konnte nicht über den grundlegend undemokratischen Charakter der Universität hinwegtäuschen. Da geht es nicht nur darum, dass wie in einem feudalen Ständesystem die ProfessorInnen eine absolute Mehrheit der Stimmen haben (“wir sind alle gleich, aber sie sind gleicher als wir”, wie ein Student auf der Kundgebung Orwell paraphrasierte). Ein Problem bei einem solchen “Dialog” ist es auch, dass Studierende ihre ohnehin geringer werdende Freizeit für solche Diskussionen aufbringen müssen, während die BürokratInnen für solche Gespräche bezahlt werden. Sie können dialogieren ohne Ende, während sie im Hinterzimmer ihre Pläne vorantreiben.
Die PräsidiumsvertreterInnen haben zusätzlich den Vorteil, dass sie länger dabei sind – sie wissen besser, wie studentische Proteste funktionieren. Niemals wurden studentische Rechte durch Verhandlungen mit den MachthaberInnen errungen. So war die Aussetzung der Anwesenheitspflicht an den Berliner Universitäten das Ergebnis von Streiks und Besetzungen im Jahr 2009-10; die Studiengebühren in verschiedenen Bundesländern konnten zurückgeschlagen werden, weil Studierende Autobahnen und Bahnhöfe besetzt haben; selbst jetzt an der FU brauchten wir gerade eben eine kämpferische Demonstration von Hunderten Studierenden, um das Präsidium überhaupt zu einem Gespräch zu motivieren.
Deswegen wird die Verhinderung der Rahmenprüfungsordnung nicht nur einen Kampf inherhalb der Gremien, sondern einen politischen Kampf erfordern, der mit Demonstrationen, Streiks und Besetzungen viel Druck auf das Unipräsidium ausübt. Am 20. Juni soll der Akademische Senat der FU (in der ProfessorInnen eine absolute Mehrheit innehaben) über den Entwurf entscheiden.