Klasse Gegen Klasse Nr. 4
Südeuropa im Strudel der Krise
05/10/2012
Von Stefan Schneider
Die Krise in Europa, die Teil der Weltwirtschaftskrise ist, ist in einem neuen Stadium angekommen: Die Eurozone als Ganze befindet sich in der Rezession, nachdem sich selbst die bisherigen Krisengewinnler, allen voran Deutschland, immer stärker mit den wirtschaftlichen Folgen der Eurokrise konfrontiert sehen: Deutschland steuert laut OECD auf eine Rezession zu[1] und in Frankreich erreichte die Arbeitslosigkeit ein 13-Jahres-Hoch[2]. In Südeuropa sieht die Lage noch dramatischer aus: Laut einer Studie der ILO leiden die Menschen Griechenland und im Spanischen Staat mit jeweils über 20% unter den höchsten Arbeitslosenraten der Welt, und die Jugendarbeitslosigkeit liegt in beiden ländern sogar bei über 50%[3].
Die Eurozone als Epizentrum der Weltwirtschaftskrise
Die Eurozone ist neben den USA das Epizentrum der aktuellen Phase der Weltwirtschaftskrise, und als solches könnte ein Scheitern oder ein Erfolg der Politik der „Rettung“ des Euros über den Verbleib in der Phase der lang anhaltenden Rezession, die wir in früheren Ausgaben analysiert haben, oder den Ìbergang zu einer schneller verlaufenden Depression entscheiden – wobei klar ist, dass mit dem Aufrechterhalten der Eurozone nicht zwangsläufig eine langsamere Geschwindigkeit der Krise einhergehen muss: Andere Faktoren wie die Zuspitzung der Widersprüche in den USA oder den sogenannten Schwellenländern wie auch eine Niederlage des Widerstandes der ArbeiterInnen und der Jugend in Europa könnten unvorhersehbare soziale und wirtschaftliche Konsequenzen haben.
In jedem Fall sehen sich die bisherigen „Motoren“, die die Rezession auf weltweiter Ebene verlangsamt haben, allen voran China, durch die Verlangsamung des Weltmarktes mit einer Verlangsamung oder einem Stillstand ihres Wachstums konfrontiert, welches wiederum den Verlauf der Weltwirtschaftskrise beschleunigen könnte[4]. Und so ist klar, dass, während die Bourgeoisie auf weltweiter Ebene noch nicht vollständig die Kontrolle über die Krise verloren hat, ihre Mechanismen der Krisenbewältigung bisher nicht funktioniert haben und immer kostspieliger und weniger effektiv werden. Damit soll nicht gesagt sein, dass eine Große Depression unmittelbar bevorstünde, aber die Dynamik der Krise hat die Zukunft der Eurozone in eines der wichtigsten Kettenglieder der Weltwirtschaftskrise verwandelt, dessen Reißen die Weltwirtschaft als Ganzes in den Abgrund stürzen könnte.
Die Interessen des deutschen Imperialismus
In dieser Situation kommt der Durchsetzungsfähigkeit der deutschen Krisenpolitik eine entscheidende Rolle zu. Denn bisher hatte die deutsche Regierung eine strikte Politik der harten Hand gegenüber den südeuropäischen Krisenstaaten vertreten. Diese Politik bekommt nun aber von außen und von innen verstärkt Gegenwind[5], in dem Maße, wie die Gefahr einer Verschärfung der Eurokrise durch die unnachgiebige Sparpolitik wächst. In diesem Zusammenhang steigen die innerimperialistischen Widersprüche zwischen Deutschland und Nordeuropa einerseits und Südeuropa inklusive Frankreich andererseits. Der EU-Gipfel Ende Juni zeigte dabei erste Anzeichen einer – bisher noch konjunkturellen – Blockbildung in diesem Sinne. Seitdem jedoch hat sich die deutsche Krisenpolitik zumindest in Richtung Italiens und des Spanischen Staats gelockert, dessen bisher größte Anzeichen in der Erlaubnis der direkten Finanzierung der spanischen Banken durch den Europäischen Finanzmarktstabilisierungsfonds (EFSF) und den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) sowie jüngst auch durch den direkten und unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) bestehen. Hier zeigt sich – trotz aller interner Diskussionen und Widerstände (ausgedrückt zum Beispiel durch die Opposition innerhalb der Regierung in Form von FDP und CSU) –, dass die deutsche Krisenpolitik sich hin zu einer sogenannten „Schuldenunion“, zum Beispiel durch die perspektivische Einführung von Eurobonds, bewegt – wohlgemerkt aber erst, wenn die europäischen Haushalte einer mehr oder weniger direkten Kontrolle durch die deutsche Regierung unterliegen, wie sie im Europäischen Fiskalvertrag und den Regulierungsmechanismen des ESM in ersten Schritten vorangetrieben werden.
Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass quasi die gesamte deutsche (und europäische) Politik die kürzliche, positive Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes über die Verfassungsmäßigkeit von ESM und Fiskalpakt jubelnd, oder zumindest mit Erleichterung, aufgenommen hat. Was im Falle der Ablehnung durch das Bundesverfassungsgericht eine Verschärfung der Eurokrise bedeutet hätte, wird nun zu einer Bestätigung, dass die deutsche Regierung „alles im Griff“ hat – und die Opposition kann sich durch die Pseudo-Auflagen des Verfassungsgerichts ebenfalls wie eine Siegerin freuen. Die Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung weist aber eigentlich eher darauf hin, dass sich Regierung und Opposition über die Richtung der Ausweitung der deutschen Interessen auf Europa einig sind und sich nur um Details gestritten wird. Jedoch wird eine endgültige deutsche Zustimmung zur „Schuldenunion“ erst kommen, wenn die deutsche Kontrolle über die südeuropäische Wirtschaft noch größer geworden ist – symbolischerweise rückte die EU-Kommission kürzlich von ihrer Idee eines europäischen Einlagensicherungsfonds als Vorstufe zu Eurobonds auf deutschen Druck hin ab.
Nichtsdestotrotz ist klar: Der deutsche Imperialismus nimmt inzwischen tendenziell eine Verlangsamung seiner eigenen Wirtschaft durch die stärkere Finanzierung der südeuropäischen Wirtschaften in Kauf, um den Zusammenbruch des Euro zu verhindern. Der Grund für den Wandel diese Politik liegt in der wirtschaftlichen und politischen Bedeutung der Europäischen Union und des Euro für den deutschen Imperialismus, welche für seinen Aufstieg essentiell waren. Das Problem liegt nur darin, dass die Grundlagen der EU und des Euro durch die Krise in Frage gestellt wurden, weshalb es auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass der deutsche Imperialismus, wenn er sich nach starken wirtschaftlichen und politischen Konvulsionen dazu gezwungen sehen sollte – oder im Falle eines Scheiterns der Eurorettungspolitik –, sich für eine andere Variante, beispielsweise eine verstärkte Orientierung nach Russland und Osteuropa, entscheiden könnte.
Südeuropa vor dem Abgrund
Innerhalb von Europa ist Südeuropa das Zentrum der Krise. Die Konsequenzen der „Rettungspolitik“ Deutschlands und der Troika zeigen dies ganz deutlich: Die Ökonomien Griechenlands, Italiens und Spaniens liegen am Boden, und die soziale Situation verschärft sich von Tag zu Tag. Der bisherige Höhepunkt der sozialen Angriffe findet sich in Griechenland, dem offiziellen Testfeld für die neoliberale Krisenbewältigungsstrategie: Neuerdings fordern die deutsche Regierung und die Troika im Einklang die Einführung der 6-Tage-Arbeitswoche und die Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen, in denen Arbeits- und Steuerrecht im Grunde genommen vollständig außer Kraft gesetzt werden. Hier zeigt sich einer der Grundpfeiler der deutschen und europäischen Krisenpolitik: die Umstrukturierung des südeuropäischen Arbeitsmarktes durch die Erhöhung der Ausbeutungsrate.
Gleichzeitig zeigt die Situation Südeuropas, dass sich die Krise in Europa zwar immer mehr vertieft und immer größere Konsequenzen für die ArbeiterInnenklasse und die Jugend hat, aber die Geschwindigkeit dieser Verschärfung eine eher langsame Dynamik besitzt. Insbesondere die reformistischen Partei- und Gewerkschaftsapparate haben zudem eine verbrecherische Rolle gespielt, die mit einer „verantwortlichen“, letztlich auf die Vermeidung von Kontrollverlust und auf Dampfablassung zielenden Politik, eine im Potential durchaus explosive Dynamik, wie sie in Griechenland durch mehr als 17 Generalstreiks oder durch die in ihren Kampfmethoden radikalen MinenarbeiterInnenstreiks in Asturien aufblitzte, fast vollständig ins Leere laufen ließ. Dies kombiniert sich mit einer illusionären Hoffnung, dass eine reformistische Perspektive à la SYRIZA, deren klassenversöhnlerische Politik darauf hinausläuft, die strategischen Interessen der Troika und des deutschen Imperialismus anzuerkennen, statt sie auf der Straße zu bekämpfen – denn nichts anderes ist ihre Vorstellung, dass die Interessen der griechischen Massen und die Beibehaltung der EU miteinander vereinbar wären – ein Ausweg für die ArbeiterInnen und die Jugend aus der Krise sein könne.
Insgesamt muss heute konstatiert werden, dass der Klassenkampf in Europa zumindest von unten rückläufig ist – was sich aber durch die Dynamik der Krise selbst wieder schnell ändern kann. In dieser Situation kommt dem Spanischen Staat eine Schlüsselrolle zu: Aufgrund seiner ökonomischen Wichtigkeit innerhalb Europas würde ein Kollaps der spanischen Wirtschaft die Wahrscheinlichkeit eines Zerfalls der Eurozone (und möglicherweise der EU) um ein Vielfaches erhöhen. Weiterhin zeigen die Mobilisierungen der letzten Monate wie der MinenarbeiterInnenstreik, trotz seiner großen Beschränkungen, das große Potential der spanischen ArbeiterInnenklasse und der Jugend.
Gegen die reformistischen und zentristischen Varianten der Perspektive, dass ein „soziales Europa“ unter kapitalistischen Vorzeichen eine Möglichkeit sei, weshalb eine Perspektive der „Rettung des Euro“ leider unabdingbar wäre (so etwa sagt es SYRIZA), müssen wir den Bruch mit den Interessen der Troika und des deutschen Imperialismus und den Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa zur Perspektive der Stunde erheben. Weder die Beibehaltung der Eurozone noch ihr Zerfall können die ArbeiterInnenklasse und die Jugend davor bewahren, die Kosten der Krise mit immer schärferen sozialen Einschnitten, Lohnkürzungen, verschlechterten Arbeits- und Lebensbedingungen etc. bezahlen zu müssen.
Dies kann nur der konsequente Kampf für eine unabhängige, antiimperialistische, internationalistische, sozialistische, sowjetische Perspektive der ArbeiterInnenklasse – eine Perspektive, die aufzeigt, dass allein der Widerstand derjenigen, die die wahren ProduzentInnen sind, gemeinsam mit den Jugendlichen und armen Massen Europas, mittels Streiks, Besetzungen, Enteignungen und Verstaatlichungen unter ArbeiterInnenkontrolle der Betriebe, die entlassen oder schließen wollen, die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung vertreten kann. Gleichzeitig beinhaltet dies einen konsequenten Kampf gegen die kollaborationistischen Gewerkschaftsbürokratien durch den Aufbau von klassenkämpferischen, antibürokratischen Strömungen in den Gewerkschaften.
Um dies zu erreichen und die Erfahrungen der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung zu synthetisieren, müssen wir für den Aufbau einer revolutionären Partei in Deutschland und international kämpfen – für den Wiederaufbau der Vierten Internationale!
Fußnote:
[1]. Siehe den Artikel Auf dem Weg in die Rezession in Deutschland in dieser Ausgabe.
[2]. OECD: Deutschland rutscht in die Rezenssion
[3] . Statistik der ILO: Spaniens Arbeitslosigkeit bricht Weltrekord
[4]. Siehe die neue Ausgabe von Estrategia Internacional. (Auf Spanisch)
[5]. Zur deutschen Krisenpolitik siehe Die Regierung in der Krise und die “Opposition” in ihren Fußstapfenin dieser Ausgabe.