Algerien – noch ein Pulverfass am Rande der Explosion
28/01/2011
Von: Carlos Munis 20.1.2011
Während die Proteste Tunesien erschütterten, wurden die wichtigsten Städte des Nachbars Algerien im Januar auch angesteckt. Die Gründe für den Aufstand der Jugend sind dieselben die im Angrenzerstaat zum Sturz Ben Alis führten: Ungerechtigkeit und die Perspektivlosigkeit der Jugend, die zu Arbeitslosigkeit und Elend verdammt ist.
Der Tropfen, der das Fass zum Ìberlaufen brachte, waren die Preissteigerung von Grundnahrungsmitteln. Der Preis für Mehl und Öl wurde in den letzten Monaten verdoppelt und ein Kilo Zucker, dass bis vor kurzem noch umgerechnet etwa 0,70 Euro kostete, liegt nun bei 1,50 Euro. Der Mindestlohn von etwa 150 Euro (wenn ein Familienmitglied zumindest das Glück hat ihn zu beziehen), deckt nur ein Viertel der Lebenshaltungskosten eines Haushaltes ab. Als dann auch noch Informationen über die mögliche Vernichtung vom Armenviertel Bab El Oued an der Peripherie der Hauptstadt im Umlauf kamen, strömte die Jugend auf die Straßen und lieferte sich Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Die Preissteigerungen erschienen noch dreister als sich die FLN-Regierung unter Bouteflika, die die politische Arena seit der Unabhängigkeit durch autoritäre Methoden bestimmt, dank der hohen Erd- und Rohölpreise mit wichtigen Devisenrücklagen schmückte. Die Wirtschaftsdaten der Regierung haben wenig Einfluss auf die 60% Arbeitslosigkeit, denen sich die algerische Jugend ausgesetzt sieht, die oft davon träumt in die Fußstapfen der „Haragas“ zu treten, der Migranten nach Europa die oft auf kleinen Holzboten inmitten des Mittelmeers zwischen den Maghrebküsten und der Festung Europa versterben.
Der Aufstand der Jugend dauerte länger als eine Woche an und hinterließ drei Tote, zehntausende Verletzte um mehr als tausend Festnahmen. Auch wenn der Druck auf der Straße nachließ, bleibt die Wut nach Aussagen wichtiger unabhängiger Zeitungen Algeriens spürbar.
In den letzten Tagen gab es mehrere Selbstmordversuche, wie von Mohamed Bouazizi, sowohl in Algerien als auch in Ägypten. Die Verbreitung der „tunesischen Gefahr“ zeigt sich zurzeit für die algerische Bourgeoisie in diesen Verzweifelungstaten. Es ist trotzdem nicht gesagt, dass auf kurz oder lang nicht auch Algerien einen ähnlichen Prozess wie in Tunesien erwarten kann.
Die Regierung ist auch aufgrund der Krankheit des Präsidenten Bouteflika stark gespalten und von Rivalitäten durchbrochen und sie kann nicht mehr mit der „islamistischen Gefahr“ wedeln, um wie in den vergangen Jahren die Arbeiter und das Volk zu disziplinieren. Die besten Verbündeten der Regierung sind auf der einen Seite die Streitkräfte, deren Gehälter vor drei Monaten um 50% gehoben wurden und auf der anderen Seite die Gewerkschaftsführung der UGTA, dem einzigen Gewerkschaftsbund der stark an das Regime geknüpft ist. Trotzdem ist es möglich, dass die Wut der Arbeiter und Jugend ihren Weg findet und die Bedingungen für einen Prozess wie in Tunesien ebnet. Dies wird von Paris und der EU stark gefürchtet, da Algerien sowohl politisch als auch ökonomisch ein deutliches Gewicht in der Region hat.