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Die Legitimität schwindet: Krisenstimmung in der CDU

23/05/2012

Von Stefan Schneider

Ein paar Tage konnte sich Norbert Röttgen, gescheiterter Spitzenkandidat der CDU in Nordrhein-Westfalen, in Sicherheit wiegen, dass seine verheerende Schlappe bei der Landtagswahl keine Auswirkungen auf seine Stellung als Bundesumweltminister haben würde. Doch am vergangenen Mittwoch erreichte ihn die Hiobsbotschaft, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel ihn entlässt. Sind in der Vergangenheit unter Merkel schon einige Minister ausgewechselt worden, so ist es doch das erste Mal, dass Merkel einen Minister hinauswirft, weil dieser nicht freiwillig seinen Rücktritt eingereicht hatte. Diese Vorkommnisse sind ein Ausdruck der schwindenden Legitimität der schwarz-gelben Bundesregierung, wie wir im Folgenden zeigen wollen.

Der Fall Röttgen ist eine Zäsur

Die Ereignisse um Norbert Röttgen stellen eine Art Zäsur dar: Offensichtlich sah Merkel die Notwendigkeit, sich selbst so stark wie möglich von ihrem einstigen „Ziehsohn“ abzugrenzen, damit seine Niederlage bei der Wahl mit ihrem eigenen Kurs – ihrer Krisenpolitik, über die Röttgen bei der NRW-Wahl indirekt auch abstimmen lassen wollte – so wenig wie möglich in Verbindung gebracht wird. Doch ist dieses Manöver nur allzu durchsichtig: Denn nicht nur fuhr die CDU im bevölkerungsreichsten Bundesland ihr schlechtestes Wahlergebnis aller Zeiten ein, sondern die Gruppe der NichtwählerInnen betrug mehr als 40%, und die als „Protestpartei“ wahrgenommene Piratenpartei erreichte knapp 8%, sodass fast die Hälfte der wahlberechtigten Bevölkerung ein ausdrückliches Misstrauen gegenüber den traditionellen Institutionen des bundesrepublikanischen Parlamentarismus‘ an den Tag legten. Zwar konnte die FDP, die sich seit Monaten in einem Prozess der Zersetzung befindet, in Schleswig-Holstein und NRW deutlich über die 5%-Hürde klettern, doch der Zerfallsprozess dieser Partei geht ungehindert weiter, bzw. könnte sich sogar noch zuspitzen, wenn die Zukunft der FDP – wie es momentan den Anschein hat – an einzelnen Persönlichkeiten wie Kubicki oder Lindner hängt. In jedem Fall ist der fortgesetzte Abstieg der CDU auf länderebene, der in NRW nun seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat, ein Zeichen für die schwindende Legitimität der Merkel-Regierung auf Bundesebene.
Doch noch mehr: Röttgen selbst wollte sich den Umgang mit seiner Person anscheinend nicht gefallen lassen, und weigerte sich – anders als andere Minister, die unter Merkel ihr Amt abgeben mussten –, selbst zurückzutreten. So ist der Rauswurf Röttgens auch nicht nur ein Zeichen der wachsenden Legitimitätskrise der schwarz-gelben Regierung, sondern auch einer Oppositionsstimmung gegen Merkel innerhalb der CDU. Führende CDU-Politiker wie Wolfgang Bosbach kritisierten Merkel für den Rauswurf Röttgens, auch wenn die Kritikstimmung in den letzten Tagen wieder etwas nachließ, und die offiziell von Unionsfraktionschef Volker Kauder ausgegebene Sprachregelung nun andersherum lautet, dass Röttgen weitere Konflikte mit Merkel vermeiden sollte. Dennoch bleibt das „System Merkel“ (FAZ) [1] weiterhin in der Kritik. Und nicht von ungefähr, bedeutet doch die sukzessive Ausschaltung interner KritikerInnen Merkels, dass die CDU kaum noch ohne Merkel auskommen kann – bis auf wenige, an der Hand abzählbare, politische Schwergewichte wie Wolfgang Schäuble und einige Provinzbarone wie den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer gibt es in der Union kaum noch Figuren, die unabhängig von Angela Merkel denkbar sind. Sollte Merkel dann im weiteren Verlauf der Eurokrise Schaden nehmen, würde sie die gesamte Union mit in den Abgrund ziehen. So ergibt sich die paradoxe Situation, dass Merkel heute so stark wie nie zuvor in der Kritik steht, und gleichzeitig so unentbehrlich wie nie zuvor geworden ist.

Merkel verstärkt unter Druck

Diese ganze Situation ist gerade deshalb brisant, weil Merkel international zunehmend unter Druck steht. Zumindest rhetorisch hat sich die internationale Öffentlichkeit dem Wachstumsdiskurs des neuen französischen Präsidenten Hollande angeschlossen, es scheint eine Art „neokeynesianistischer Einheitsfront“[2] zu existieren, die den reinen Sparkurs Merkels ablehnt. Dies bedeutet zugleich (wenn auch maßvollen) Widerstand gegen die Dominanz des deutschen Imperialismus. So zeigte auch der kürzlich beendete G8-Gipfel im US-amerikanischen Camp David eine um Wachstumsrhetorik bemühte Mehrheit der Gipfelteilnehmer um Hollande und US-Präsident Obama, welche der Rhetorik der unausweichlichen Austerität von Angela Merkel gegenüberstand. Passenderweise kommentierte die Süddeutsche Zeitung „Merkel gegen den Rest der Welt“[3]. Der Sparkurs, der die bisherige Krisenpolitik der Eurozone dominierte, wird so in immer schärferer Weise direkt personifiziert auf Merkel zugeschnitten. Das heißt, um international bestehen zu können, kann sich Merkel keine noch so geringe Schwäche leisten – auch nicht innenpolitisch. Und so kann auch eine relativ kleine Schwächung der schwarz-gelben Bundesregierung international große Auswirkungen haben, die die Legitimitätskrise Merkels sehr verschärfen könnten.


In diesem Zusammenhang ist es umso bemerkenswerter, wie wenig die beiden sozialdemokratischen Parteien SPD und Linkspartei der Merkel-Regierung entgegenzusetzen haben. So hat die SPD in NRW zwar mit eher klassisch sozialdemokratischen Versprechen die Wahl gewonnen, auf Bundesebene ist sie aber weit entfernt davon, auch nur annähernd eine Alternative zu Merkels Sparpolitik anbieten zu können – zumal sie schon längst klar gemacht haben, dass sie Merkels Fiskalpakt in jedem Fall zustimmen werden.

Noch gravierender sieht es bei der Linkspartei aus, die sich immer noch auf ein Image als Protestpartei zu stützen versucht. Ihre Strategie ist aber völlig auf Druck auf die SPD (in NRW sogar direkt auf die Tolerierung) ausgerichtet. Und weiter: In einer Situation, in der die Politik Merkels trotz massiver Schwächungen weiterhin funktional und alternativlos erscheint, vermag die Linkspartei überhaupt keine Politik anzubieten, die von einem relevanten Teil der Bevölkerung als effektive Anti-Sparpolitik (wenn schon nicht weitergehend) ernst genommen wird. Anstatt die Krise von CDU und FDP für eine kämpferische außerparlamentarische Politik zu nutzen, ging die Linkspartei sogar bei den NRW-Wahlen trotz „besonders linkem“ Landesverband trostlos unter.

    1. FAZ: Röttgen entlassen. 20.5.2012.

    2. Paula Bach: Un espectro amenaza a Europa, LVO 475.

    3. Süddeutsche Zeitung: Merkel gegen den Rest der Welt. 20.5.2012.

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