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Am 15. Mai 2011 begannen Jugendliche im Spanischen Staat, öffentliche Plätze zu besetzen. Drei Jahre später, am 22. März 2014, demonstrierten Hunderttausende in Madrid. Was hat sich in diesen drei Jahren verändert?

Spanischer Staat: Vom 15M zum 22M

10/05/2014

Spanischer Staat: Vom 15M zum 22M

In wenigen Tagen jährt sich der „15M“. Am 15. Mai 2011 entstand die Bewegung der „Empörten“ (indignados) als Antwort auf die kapitalistische Krise. Die Bilder der von Jugendlichen besetzten Plätze im Spanischen Staat erschienen in Zeitungen, Medien und sozialen Netzwerken auf der ganzen Welt. Die Bewegung der „Empörten“ war der erste Ausdruck des Risses zwischen dem politischen Regime, das aus dem Ìbergang von der Franco-Diktatur zur bürgerlichen Demokratie im Jahr 1978 hervorging, und breiten Schichten der Massen. Die Jugend war der erste Sektor, der dem Ausdruck verlieh.

In den letzten Jahren vertiefte sich diese Kluft nur weiter. Millionen ArbeiterInnen und andere von der kapitalistischen Krise betroffene Gesellschaftsschichten gehen auf die Straße. Der Jahrestag des 15M findet zu einem Zeitpunkt statt, wo sich die zentralen Institutionen des Regimes von 1978 in einer tiefen Krise befinden – vom Zweiparteiensystem und seinen RepräsentantInnen, bis zur Monarchie. Die Forderung nach dem Recht auf Selbstbestimmung der BaskInnen und KatalanInnen erklingt mit Stärke auf den Straßen, begleitet von einer Vielzahl von sozialen und Arbeitskämpfen im ganzen Land.

Die wirtschaftliche Krise trifft die ArbeiterInnen stärker als je zuvor, was sich in fast sechs Millionen Arbeitslosen, hunderttausenden Zwangsräumungen und Kürzungen bei der Bildung und im Gesundheitswesen ausdrückt. Die Regierung verkündet, wir würden „aus der Krise herauskommen“, doch dieser scheinheilige Optimismus steht in scharfem Widerspruch zu der Tiefe der sozialen Misere für Millionen: ohne Arbeit, ohne Wohnung, ohne Zukunft. In diesem Jahr schritt auch die Krise des Regimes mit großen Korruptionsskandalen voran, die die Volkspartei (PP), die Sozialdemokratie (PSOE) und andere Parteien sowie die Monarchie, die KapitalistInnen und die Gewerkschaftsspitzen betreffen.

2013 war ein Jahr, in dem die großen spanischen und multinationalen Konzerne massenhaft ArbeiterInnen entließen: bei Coca-Cola, Panrico, Tenneco und anderen Fabriken. Dabei stützten sie sich auf die Arbeitsmarktreform der Regierung der PP von Mariano Rajoy. Doch es war auch das Jahr eines neuen Widerstandes der ArbeiterInnen, die sich mit harten Kämpfen gegen die Entlassungen wehrten und dabei Methoden aus der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung wiederbelebten. So zum Beispiel die Streikkasse, den unbefristeten Streik mit Streikposten, die Koordinierung mit anderen Kämpfen, Sitzblockaden und massive Demonstrationen. Leider war es ebenso das Jahr der größten Passivität der Gewerkschaftsführungen von UGT und CCOO, die sich weigerten, den Weg des Generalstreiks weiterzuführen und massive Demonstrationen oder die aktive Unterstützung für die Arbeitskämpfe zu organisieren.

In dieser Situation waren die Demonstrationen des 22. März (22M) dieses Jahres ein wahrer sozialer Aufschrei gegen die harten Folgen der kapitalistischen Krise, die auf die Schultern der ArbeiterInnen und Massen geladen werden. Hunderttausende füllten die Straßen Madrids. Die verschiedenen Demonstrationszüge repräsentierten verschiedene Bewegungen, gekennzeichnet durch verschiedene Farben, die von den Medien als „Fluten“ bezeichnet wurden: zum Beispiel die „weiße Flut“ der Beschäftigten im Gesundheitswesen, die „grüne“ gegen Kürzungen im Bildungswesen, die „orangefarbene“ für soziale Gerechtigkeit und die „violette“ gegen die Abschaffung des Abtreibungsrechts. Neben noch nicht farbkodierten Gruppen, etwa gegen Repression oder für Umweltschutz, gab es auch eine „rote Flut“: Die der ArbeiterInnen von Coca-Cola, die mit roten Streikwesten gegen Standortschließungen und Entlassungen protestieren, neben verschiedenen weiteren Belegschaften, die sich gegen Fabrikschließungen, Entlassungen, drakonische Gehaltskürzungen und den Verlust anderer Errungenschaften wehren: die MinenarbeiterInnen, ArbeiterInnen aus dem Gesundheitswesen, der Reinigung, des Bildungssektors, der U-Bahn, der Feuerwehr und noch einige mehr.

Das vorderste Transparent dieser Demonstration wurde von VertreterInnen dieser Kämpfe getragen. Unter ihnen waren auch ArbeiterInnen der beiden derzeit wichtigsten Streiks im Spanischen Staat: von Coca-Cola Fuenlabrada, die schon fast drei Monate gegen die Schließung streiken, und von Panrico Santa Perpètua, die sich seit mehr als sechs Monaten gegen hunderte Entlassungen und harte Lohnkürzungen wehren. Beide haben mittlerweile begonnen, sich zu koordinieren. Daher stammt der Spruch: „Panrico und Coca-Cola, das ist der gleiche Kampf“.

Auf dieser Demonstration vereinten sich die ArbeiterInnen von Coca-Cola, Panrico und viele andere hinter dem Spruch: „Kein Schritt zurück, die Kämpfe koordinieren, für den Generalstreik!“. Viele ArbeiterInnen wissen, dass dies der einzige Weg ist: die Kämpfe zu koordinieren, sie in einem Generalstreik gegen die Regierung und die KapitalistInnen zu vereinen und zu vertiefen. Doch dieser Weg ist nicht der, den die Führungen der großen Gewerkschaften suchen. Sie haben sich für die Sozialpartnerschaft, die Verhandlung und die Passivität ausgesprochen.

Die Linke am Scheideweg

In diesem politischen und sozialen Klima entstand innerhalb der Linken – von Izquierda Unida (IU) bis zu den sozialen Bewegungen und der radikalen Linken – eine Debatte über den strategischen Ausweg aus der Krise des Regimes. IU ist die stärkste Kraft in der spanischen Linken und als Produkt der Krise der PSOE stieg die Vereinigung in Umfragen auf bis zu 14 Prozent. IU nimmt an den sozialen Bewegungen teil, jedoch nicht, um den Weg der Mobilisierung und des Generalstreiks zum Sturz der Regierung voranzutreiben, sondern um sie auf einen „Ausweg“ an den Wahlurnen zu orientieren. Für IU besteht die lösung im Erlangen weiterer Parlamentssitze und perspektivisch in einer „linken Regierung“. Damit bereiten sie sich jedoch darauf vor, das Regime zu retten und den Kapitalismus „menschlich zu verwalten“. Das ist auch das, was sie in Andalusien macht, wo sie gemeinsam mit der PSOE regiert und „Kürzungspläne“ und Zwangsräumungen selbst durchgesetzt hat. Ihre Orientierung geht keinen Schritt über den bestehenden Parlamentarismus hinaus.

Auf der anderen Seite entstand vor einigen Monaten ein neues Projekt der Linken: Podemos („Wir können“), das von einem Fernsehmoderator mit medialem Einfluss angeführt und von Izquierda Anticapitalista (Sektion des Vereinigten Sekretariats im Spanischen Staat) vorangetrieben wird, die ihre gesamten Kapazitäten in dieses Projekt hineinsteckt. Podemos hat Hoffnungen unter vielen AktivistInnen entstehen lassen. Die AnführerInnen stellten jedoch vom ersten Moment an klar, dass ihr Ziel ist, mit IU zusammenzugehen. Podemos hat ein ähnliches Programm wie IU: Reformen mit sozialdemokratischem Inhalt, um den spanischen Kapitalismus zu „vermenschlichen“. Das Programm enthält sogar Forderungen wie: „Förderung der Rolle der kleinen und mittleren Unternehmen bei der Schaffung von Arbeitsplätzen.“ Also ein Programm, um den „sozialen“ und „ethischen“ Kapitalismus zu entwickeln, der „zum Gemeinwohl beiträgt“. Ein Programm, das keinen Bezug zum Antikapitalismus und der Unabhängigkeit der ArbeiterInnenklasse enthält. Die sichtbaren AnführerInnen von Podemos verteidigen einen populistischen und postmarxistischen Diskurs und richten sich an die „Bürgerschaft“, um „die Demokratie aufzubauen“… aber im Rahmen des Kapitalismus! Was sie als eine „Erneuerung“ der Linken verpacken, ist nichts weiter als eine Anpassung an den alten reformistischen Diskurs.

Wir von Clase contra Clase (Sektion der FT-CI im Spanischen Staat) halten es im Gegensatz dazu für eine strategische Aufgabe der antikapitalistischen und revolutionären AktivistInnen, alle Kräfte in die Weiterentwicklung der neu entstehenden Subjektivität der ArbeiterInnen zu stecken. Deshalb haben wir während der 15M-Bewegung dafür gekämpft, dass die Empörung von den Plätzen zu den Arbeitsplätzen vordringt. Dafür haben wir ArbeiterInnen-Kommissionen aufgebaut und asambleas mit prekär beschäftigten und studierenden Jugendlichen organisiert. Durch diesen Kampf für einen revolutionären Flügel in der 15M-Bewegung konnten wir einen Sektor von kämpferischen Jugendlichen gewinnen, der sich revolutionären Ideen annäherte. Mit ihnen gemeinsam bildeten wir die Jugend-gruppe No Pasarán in Barcelona und Saragossa, und nach einem Jahr haben wir gemeinsam den Aufbau von Clase contra Clase in Angriff genommen. In Saragossa sind wir stolz darauf, dass wir zur gleichen Zeit wichtige Schritte hin zur Organisierung von jungen prekär Beschäftigten gingen, als Teil der Gewerkschaftsgruppe der CGT in Telepizza.

Eine neuere Entwicklung in Barcelona, Saragossa und Madrid ist der Versuch, diese Perspektive auch in die Frauenbewegung hineinzutragen. Dort nahmen wir bei den großen Mobilisierungen für das Recht auf Abtreibung teil, organisierten Workshops zum Thema „Marxismus und Geschlecht“ und bauten die Gruppierung Pan y Rosas gemeinsam mit arbeitenden und studierenden Frauen auf. Von dort aus unterstützten wir bedingungslos die großen Arbeitskämpfe von Panrico und Coca-Cola. So konnten wir das Vertrauen der ArbeiterInnen gewinnen.

Ein großer Teil der Linken und der radikalen Linken versucht, sich als Vertretung der 15M-Bewegung darzustellen und kanalisiert die Empörung in reformistische Wahlprojekte. Wir hingegen versuchen, die Mobilisierungen zu radikalisieren, damit sich die Empörung der ArbeiterInnenklasse bündelt, koordiniert und weiterentwickelt. Die ArbeiterInnenklasse im Verbund mit den am stärksten unterdrückten Sektoren der Gesellschaft ist die einzige soziale Kraft, die dazu in der Lage ist, das Regime von 1978 wirklich anzugreifen und die Sparpläne der Regierung und der Troika zurückzuschlagen. Aus diesem Grund halten wir die Gruppierung der antikapitalistischen und revolutionären AktivistInnen für notwendig, um mit einheitlicher Kraft, sowohl auf der Wahlebene als auch im Klassenkampf, schlagkräftig zu intervenieren, mit einem Programm, das die KapitalistInnen für ihre Krise bezahlen lässt.

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