FTD, 18.01.2011
Moncef Marzouki - Tunesiens leiser Revoluzzer
25/01/2011
Als erster tunesischer Dissident traut sich der Chef der verbotenen Linkspartei CPR in den Ìberwachungsstaat zurück. Der Menschenrechtler wirbt für den Neuanfang. von Marina Zapf Berlin
Wenn Moncef Marzouki über die Revolte in seiner Heimat Tunesien spricht, wirkt er noch ernster als ohnehin schon. Er zieht seine Stirn in Falten, dämpft seine Stimme. So trat er vor Kurzem im französischen Fernsehen auf, bestätigte dort die unerwartete Flucht des Ex-Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali nach Saudi-Arabien.
Als erster prominenter Dissident wagt Marzouki nun die Rückkehr aus dem französischen Exil in seine Heimat, obwohl immer noch Schergen Ben Alis die Bevölkerung terrorisieren. "Tunesien hat den Diktator verjagt, aber die Diktatur ist noch da", sagt Marzouki und versucht, seinen aufgewühlten Landsleuten Mut zu machen für den langen Weg von einem brutalen Polizeistaat hin zu einer echten Demokratie.
Auch nach fast zehn Jahren Exil scheinen seine Worte Gewicht zu haben in der Heimat. Begeisterte Anhänger begrüßen ihn am Dienstag bei seiner Ankunft in Tunis mit der Nationalhymne. Noch am Vortag hatte er die gerade gebildete Ìbergangsregierung, die erstmals drei Minister aus der Opposition einbinden sollte, als "Maskerade" verdammt. Als er den Fuß auf tunesischen Boden setzt, sind die Minister bereits abgetreten.
Wie der geborene Revoluzzer kommt Marzouki nicht daher. Der heute 65-jährige Professor der Medizin ist die Höflichkeit in Person, er spricht zumeist leise. Nichtsdestotrotz stieg der Mann mit der altmodisch wirkenden braun geränderten Brille zur Leitfigur der Exilgemeinde auf.
Auf den Solidaritätskundgebungen, zu denen in Paris mehrere Tausend Sympathisanten zusammenkamen, ermutigte er seine Landsleute durchzuhalten: Das rebellierende Volk, so seine Botschaft, dürfe sich nicht täuschen lassen von bloßen Gesten der Wendehälse. Wenn der Apparat einlenke, dann nur zum Ìberleben. Alles müsse von Grund auf neu erbaut werden: vom Zoll über den Polizeiapparat bis hin zum Justizwesen - allesamt Instrumente der Bereicherungsmaschine, die Ben Ali um sich herum konstruiert habe. "Wir müssen bestehen auf freien und fairen Wahlen", fordert Marzouki, "sowohl für ein Parlament wie für einen Präsidenten." Marzouki will auch für den höchsten Posten im Staate kandidieren.
Bekannt ist Marzouki in Tunesien vor allem als einstiger Vorsitzender der dortigen Menschenrechtsliga. Als Menschenrechtsaktivist hat er schlechte Erfahrungen mit dem Polizeistaat gemacht. 2000 wurde er von einem Gericht wegen Gründung einer angeblich illegalen Organisation zu einem Jahr Gefängnisstrafe verurteilt. Und seine 2001 gegründete linksgerichtete Oppositionspartei Kongress für die Republik (CPR) wurde kurz darauf verboten. Bald darauf blieb ihm nur das französische Exil als letzter Ausweg.
In Tunesien sucht Marzouki nun den Neuanfang, das spricht aus jedem seiner Sätze. Er werde von Saudi-Arabien die Auslieferung des Diktators fordern. Und kündigte an, Ben Ali "der Verbrechen gegen das tunesische Volk" anzuklagen.
Ob er der zersplitterten Opposition eine Leuchtfigur sein kann, muss sich aber noch zeigen. "Ben Ali hat eine Pseudo-Opposition geschaffen aus fünf oder sechs Parteien, die weder Legitimität noch Tuchfühlung mit den Menschen haben", sagt er einst.
Um die vielen Oppositionsgruppen zu einen, wählt Marzouki sehr bedacht sein erstes Ziel: Sidi Bouzid, "Ort der Märtyrer und der freien Menschen". Dort nahmen die Unruhen nach dem Selbstmord eines jungen Arbeitslosen ihren Ursprung.