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Vorwort zur Neuausgabe von “Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats” von Leo Trotzki

Wie hätten die Nazis gestoppt werden können?

12/02/2013

von Wladek Flakin

Vor 80 Jahren, im Januar 1933, wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt. In den folgenden Wochen und Monaten wurden die millionenstarken Organisationen der deutschen ArbeiterInnenbewegung von den Nazis zerschlagen. Die Katastrophe ging vor sich, ohne dass ein Schuss fiel. Wie konnte es dazu kommen, dass die deutschen ArbeiterInnen scheinbar freiwillig ins Messer liefen?

Die Behauptungen der deutschen Bourgeoisie in ihren Geschichtsbüchern, wonach die gesamte Bevölkerung von Hitler begeistert war, können nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass die Elite die NSDAP mit viel Geld unterstützte, während Millionen ArbeiterInnen bereit waren, gegen den Aufstieg der Nazis zu kämpfen.

Warum kam es nicht zur entscheidenden Kraftprobe? Die größten ArbeiterInnenorganisationen in Deutschland, die SPD und die KPD, lehnten jede Zusammenarbeit gegen die faschistische Gefahr ab. Der russische Revolutionär Leo Trotzki – der wegen seines Kampfes gegen die stalinistische Bürokratie aus der Sowjetunion verbannt wurde und im Exil auf der türkischen Insel Prinkipo lebte – forderte demgegenüber in zahlreichen Artikeln und Broschüren eine Einheitsfront der ArbeiterInnen gegen den Faschismus.[1] Er bezog sich dabei auf die Politik der Einheitsfront, die die Kommunistische Internationale vor ihrer Stalinisierung entwickelt hatte, als Lehre aus den revolutionären Prozessen nach dem Ersten Weltkrieg, allen voran aus der Oktoberrevolution in Russland.

Im Rahmen der Weltwirtschaftskrise, die 1929 einsetzte, konnte das deutsche Kapital die Existenz von starken ArbeiterInnenorganisationen nicht länger dulden – selbst reformistische Gewerkschaften waren angesichts der Verwertungskrise nicht mehr zu ertragen. Ins Elend gestürzte Teile der Bevölkerung, vor allem des Kleinbürgertums, suchten nach radikalen lösungen. Die historische Aufgabe des Faschismus bestand darin, diese in Kampftruppen gegen die ArbeiterInnenbewegung zu sammeln.

Angesichts dieser existentiellen Gefahr mussten alle ArbeiterInnenorganisationen zusammenhalten. Doch die Führung der SPD war seit ihrer Zustimmung zum Ersten Weltkrieg am 4. August 1914 zu einer Agentur der Bourgeoisie geworden – in der Weimarer Republik verwaltete sie große Teile des bürgerlichen Staates im Interesse der KapitalistInnen und im Rahmen der Krise stützte sie die Brüning-Regierung mit ihren Notverordnungen gegen die ArbeiterInnen. Die Führung der KPD war ihrerseits vollständig der Bürokratie der Sowjetunion unterworfen – sie folgte den Befehlen aus Moskau, und damals hieß es, die Sozialdemokratie sei in Wirklichkeit „Sozialfaschismus“.

Die Wirtschaftskrise führte zu einer Radikalisierung breiter Schichten: Besonders KleinbürgerInnen wurden von den Nazis angezogen, während ArbeiterInnen (im geringeren Maß) zur KPD gingen – trotz ihrer stalinistischen Politik. Trotzki argumentierte, dass eine revolutionäre Partei der ArbeiterInnen auch die KleinbürgerInnen gewinnen könnte, wenn sie einen klaren revolutionären Ausweg aus der Krise aufzeigen würde. Doch die Weigerung der stalinistischen Führung der KPD, eine proletarische Einheitsfront zu schaffen, machte es unmöglich, die Massen der ArbeiterInnen für eine revolutionäre Perspektive zu gewinnen und so auch andere Schichten mitzureißen.

***

Auf wenige Sätze reduziert schlug Trotzki den kommunistischen ArbeiterInnen folgende Politik im Umgang mit ihren sozialdemokratischen KollegInnen vor: „Die Politik unserer Parteien ist unversöhnlich; aber wenn die Faschisten heute nacht kommen, um die Räume Deiner Organisation zu zerstören, so werde ich Dir mit der Waffe in der Hand zu Hilfe kommen. Versprichst Du, ebenfalls zu helfen, wenn die Gefahr meine Organisation bedroht?“[2]

Doch für Trotzki war die Frage der Einheitsfront nicht nur zur Verteidigung gedacht. Sie war eine „aktive Verteidigung mit der Perspektive eines Ìbergangs zur Offensive“.[3] Die Strukturen der Einheitsfront würden sich nicht auf den Kampf gegen die Nazis beschränken, sondern alle möglichen Probleme der ArbeiterInnen behandeln. Die Einheitsfront müsste mit der Schaffung von Organen der Selbstorganisierung einhergehen, die die ArbeiterInnenklasse für eine Offensive gegen die Herrschaft der Bourgeoisie einsetzen könnte. Oder wie Trotzki erklärte: Macht eine wirkliche Front der großen ArbeiterInnenorganisationen „und Ihr habt den Berliner Sowjet der Arbeiterdeputierten!“[4] Die Einheitsfront sollte also an den Bedürfnissen der anti-faschistischen Defensive anknüpfen, um diesen Verteidigungskampf in die Bahnen einer revolutionären Offensive zu lenken.

Die von Trotzki vorgeschlagene Einheitsfronttaktik hatte er nicht frei erfunden. Wie schon erwähnt, wurde sie von der Komintern auf ihrem 3. und 4. Weltkongress verallgemeinert. Die Einheitsfront ist dabei nicht nur eine Bündnispolitik: Sie beinhaltet auch stets ein Kampf der Kommunistischen Partei gegen die eigene PartnerInnen, um deren Basis für die eigene Politik der sozialistischen Revolution zu gewinnen.

Viel Verwirrung in dieser Angelegenheit stiftet bis heute die KPD-Parole der „roten Einheitsfront“ oder der „Einheitsfront von unten“. Sie wurde einer Einheitsfront mit der SPD-Führung als „revolutionäre Alternative“ entgegengestellt. Betrachtet man die äußerst brutale Niederschlagung der Revolutionsversuche von 1919 bis 1923 durch die SPD und auch den Berliner „Blutmai“ von 1929, ist diese Haltung gegenüber der SPD-Führung durchaus nachvollziehbar. Revolutionen werden aber nicht von den wenigen KommunistInnen gemacht, die für sich die Einsicht gewonnen haben, dass die SPD reaktionär ist. Revolutionen werden von den proletarischen Massen gemacht und von denen hatten viele noch Vertrauen in ihre sozialdemokratische Führung. Revolutionäre Politik musste den Massen klar machen, dass ihnen unter Führung der SPD der Untergang drohte. Dieser Bewusstseinswandel konnte gar nicht dadurch erreicht werden, dass die KPD, die selbst so manche erdrückende Niederlage zu verantworten hatte, den ArbeiterInnen bloß ewig den reaktionären Charakter der SPD vorbetete. Stattdessen hätte die SPD in der politischen Aktion geprüft werden müssen.

Die Einheitsfront von KPD und SPD – unter öffentlich vor den Massen ausgehandelten Bedingungen – hätte die SPD-Führung bei Strafe ihres eigenen Gesichtsverlustes in den Kampf gedrängt. In diesem hätte sie die Bewegung bei jedem entscheidenden Schritt zu bremsen versucht, sich damit offen diskreditiert, und die KPD hätte sich als konsequente Verfechterin der Interessen des Proletariats beweisen können, um so die Massen für sich und für die sozialistische Revolution zu gewinnen. Statt diesen Kampf mit der SPD zu führen, wartete die KPD jedoch mit der Parole der „Roten Einheitsfront“ vergebens darauf, dass die Massen von alleine mit den SozialdemokratInnen brachen und sich der Kommunistischen Partei anschlossen.

Im Deutschen Reich gab es kleinere Städte, in denen die Linke Opposition der KPD (die trotzkistische Organisation, die als externe Fraktion der KPD arbeitete) aufgrund ihrer relativen Größe in der Lage war, eine wirkliche Einheitsfront aller lokalen ArbeiterInnenorganisationen zu schaffen. In Bruchsal in Baden-Württemberg, in Klingenthal in Sachsen sowie in Oranienburg bei Berlin konnten SPD, KPD, LO und unorganisierte ArbeiterInnen in gemeinsamen Ausschüssen das Voranschreiten der Nazis erfolgreich verhindern.[5] Doch es blieb bei diesen vereinzelten Beispielen. Bis über den 30. Januar 1933 hinaus hielten die beiden ArbeiterInnenparteien SPD und KPD auf landesweiter Ebene daran fest, nicht gemeinsam gegen die Nazis zu kämpfen. Wie die österreichische Band „Die Schmetterlinge“ einmal gesungen hat, hielt diese Politik, „bis sich Sozialdemokraten und Kommunisten schließlich vereint sahen – im KZ.“[6]

***

Diese kampflose Niederlage ist auch im Nachhinein schwer zu verstehen. Die stalinistische Geschichtsschreibung, die dem Zweck diente, die Politik der KPD und der Komintern unter der Führung Stalins als fehlerlos zu bezeichnen, trug und trägt noch heute vieles zur Verwirrung bei. So lesen wir in vielen stalinistischen Texten, die KPD habe trotz der „Sozialfaschismusthese“ für die Einheitsfront gekämpft. In manchen Texten von der heutigen Antifa-Bewegung heißt es gleichfalls, dass die von der KPD ins Leben gerufene Frontorganisation „Antifaschistische Aktion“ in der Tat die Einheitsfront der deutschen ArbeiterInnenbewegung war.

Weil die Antifa-Bewegung heute für viele Jugendliche, die etwas gegen Nazis unternehmen wollen, einen ersten Bezugspunkt darstellt, müssen wir uns auch genauer mit ihrem Geschichtsbild auseinandersetzen (auch wenn klar ist, dass die Antifa-Bewegung viele verschiedene Strömungen und Positionen umfasst). Die Antifaschistische Linke International aus Göttingen schreibt: „Die KPD wollte eine Einheitsfront aller AntifaschistInnen aus ArbeiterInnen der KPD, SPD, christlich organisierten ArbeiterInnen, gewerkschaftlich Organisierten und Unorganisierten, Beamten, BäuerInnen, HandwerkerInnen und Intellektuellen schaffen.“[7] Sie versuchen nicht zu erklären, warum die KPD ihre Aufrufe auf jene beschränkte, die unter der Führung der KPD zu kämpfen bereit waren, und warum sie die Führung der SPD von der Zusammenarbeit von vorne herein ausschloss.

Genau das umgekehrte Bild beschreibt der Antifa-Aktivist und Historiker Bernd Langer in einer Broschüre zum 80. Jahrestag der Gründung der Antifaschistischen Aktion. Die Einheitsfrontpolitik, wie es die 3. und 4. Kongresse der Komintern Anfang der 20er Jahre beschlossen hatten, sei laut Langer immer nur die Suche nach Bündnissen „mit der Basis anderer Arbeiterparteien […], ohne mit den Parteien selbst zu koalieren. Mit der ”šEinheitsfront‘ war also nicht eine gleichberechtigte Zusammenarbeit verschiedener Organisationen gemeint, sondern die Dominanz der Arbeiterbewegung durch die Kommunisten.“[8] So verwechselt Langer die Einheitsfrontpolitik mit der „Einheitsfront von unten“ oder der „roten Einheitsfront“ – die stalinisierten Parteien bildeten unter diesen Begriffen Bündnisse mit sich selbst und ihren engsten SympathisantInnen, um vom Druck für eine tatsächliche Einheitsfront abzulenken. Dabei verschweigt er mehrere Beispiele, wie die KPD in den 20er Jahren Einheitsfronten unter offensiver Einbeziehung der SPD (einschließlich ihrer Führung) bildete.

In beiden historischen Texten aus der Antifa-Szene gibt es keine Erklärung dafür, warum die deutsche ArbeiterInnenbewegung verloren hat. Diese Lücke ist aber wiederum eine mögliche Erklärung für den tiefen Geschichtspessismus der Antifa-Bewegung: Da die am besten organisierte ArbeiterInnenklasse der damaligen Welt den Faschismus nicht aufhalten konnte, konnte dieser Pessimismus zu einer Brutstätte für die sogenannte „antideutsche“ Bewegung mit ihren Theorien werden, dass der Faschismus auf bestimmte Charaktermerkmale der Deutschen zurückzuführen sei.

Dass die Antifa-Szene die Lehren aus der Niederlage nicht gezogen hat, merkt man auch an Hand ihrer heutigen Praxis. Gegen den größten Naziaufmarsch Europas, der Jahr für Jahr im Februar in Dresden stattfand, gab es jahrelang militante, aber kleine und isolierte, Antifa-Demos, die sich „gegen Nazis und Bürgermob“ richteten. Auch wenn es nicht so genannt wurde, passte diese Gleichsetzung gut zur „Sozialfaschismusthese“ der StalinistInnen.

Ab 2010 gab es dann in Dresden, von anderen Kräften der Antifa-Bewegung ausgehend, Blockaden gegen den Naziaufmarsch, die breite Kreise (darunter Mitglieder von SPD, Linkspartei und Gewerkschaften) einbezogen hat. Diese Bündnisse konnten wirkliche Blockaden durchsetzen – doch nutzten die linksradikalen Kräfte die Gelegenheit nicht, um ihre sozialdemokratischen Verbündeten zu kritisieren und deren Basis zu gewinnen. (Obwohl gerade die Sozialdemokratie mit Hartz IV, Afghanistankrieg und „Asylkompromiss“ den Boden bereitet hatte, auf dem die Nazis wachsen konnten). Deswegen können wir trotz der wichtigen taktischen Erfolge nicht von einem strategischen Durchbruch, d.h. vom nennenswerten Anwachsen revolutionärer Kräfte in Deutschland, sprechen.

Leider gibt es selbst von jungen Historikern, die sich auf den Trotzkismus beziehen, wenig Klarheit in dieser Frage. So bezieht sich Florian Wilde, der im Vorstand der Linkspartei ist, positiv auf alle „sozialistischen Zwischengruppen“ in der Weimarer Republik, also auf die SAP, die KPO und auch die TrotzkistInnen, ohne zwischen diesen Strömungen mit ihren unterschiedlichen Auffassungen der Einheitsfront und Strategien zu differenzieren.[9] Marcel Bois von der Gruppe „Marx21” und der Linkspartei erklärt die Einheitsfrontpolitik zu einer rein defensiven Politik, losgelöst von einer Strategie für die sozialistische Revolution.[10] Dabei übersehen beide, wie Trotzki in der vorliegenden Broschüre erklärt, dass die zentristischen Gruppen, die die Einheitsfront als Selbstzweck konzipierten, keine revolutionäre Antwort auf die kapitalistische Krise und damit letztendlich keine Politik für den Sieg gegen Hitler entwickeln konnten. Denn nur die sozialistische Revolution (nicht die „positive Antwort“ auf die Krise, von der Wilde spricht, was auch immer das sein mag) kann die faschistische Gefahr wirklich beseitigen. Diese historische Verschwommenheit passt auch dazu, dass beide Aktivisten sich für eine „Einheit der Linken“ im Rahmen der reformistischen Linkspartei einsetzen, ohne eine klare revolutionäre Strategie zu vertreten.

Bei der maoistischen MLPD ist die Analyse noch viel verheerender. Die MaoistInnen können trotz ihrer positiven Haltung zu Stalin und zur KPD unter seiner Führung zugeben, dass sich die Sozialfaschismusthese „als tragischer Irrtum“ erwies. Doch sie rechtfertigen diesen Fehler gleich mit einem Hinweis, „dass sich damals niemand das tatsächliche Ausmaß des faschistischen Terrors hatte vorstellen können.“[11] Sie setzen sich nicht mit Trotzkis Politik auseinander, der nicht nur diesen Fehler zum richtigen Zeitpunkt (und nicht Jahrzehnte später!) brandmarkte, sondern auch eine Alternative aufzeigte. Die MLPD hält stattdessen an den waghalsigen Verleumdungen gegen Trotzki fest, die die stalinistische Bürokratie zur Rechtfertigung der Ermordung Zehntausender KommunistInnen erfand, für die es jedoch auch nach Öffnung der sowjetischen Archive keine Belege gibt. Ihre zentrale Losung heute gegen die faschistische Gefahr – „Für das Verbot aller faschistischen Organisationen!” – bedeutet aber keinen wirklichen Fortschritt. Denn statt einer Einheitsfront der ArbeiterInnen propagieren sie letztendlich eine „Einheitsfront“ mit dem kapitalistischen Staat, den sie zum Schutz der ArbeiterInnen auffordern. Mit dieser reformistischen Illusion in die bürgerliche Demokratie, die Anfang der 30er bei der SPD ebenfalls vorherrschte, setzt sich Trotzki ebenfalls in dieser Broschüre auseinander.

***

Heutzutage sind die Lehren aus der Niederlage der ArbeiterInnenbewegung besonders wichtig. Die Euro-Krise, die in Griechenland in der zugespitztesten Form zu Tage tritt, führt ebenfalls zu einer politischen Polarisierung: Die FaschistInnen der „Goldenen Morgenröte“, die vor Kurzem noch ein kleiner Haufen waren, bekommen nun Hunderttausende WählerInnenstimmen. Die linksreformistische Kleinpartei SYRIZA wuchs praktisch über Nacht zu einem politischen Bezugspunkt für Millionen.

Doch die Führung von SYRIZA strebt nach einer Regierungsbeteiligung und behauptet, die Krise im Rahmen des kapitalistischen Systems durch Verhandlungen mit der EU lösen zu können. Damit verbreitet sie reformistische Illusionen, die nur zu Niederlagen und Enttäuschung der Massen führen können. Gerade eine Linke, die sich beharrlich im Rahmen des Systems hält, lässt die FaschistInnen sich als angebliche „SystemgegnerInnen“ profilieren.

Die Aufgabe der Stunde in Griechenland besteht deswegen nicht in der „Einheit der Linken“ in einer reformistischen Partei, wie es manche Gruppen mit revolutionärem Anspruch fordern. Genauso wenig kann sich die Arbeit der Linken auf militante Auseinandersetzungen mit den FaschistInnen beschränken, an denen sich nur autonome Jugendliche beteiligen.

Nein, die Aufgabe der Stunde besteht darin, für eine wirkliche Einheitsfront zu kämpfen: Die arbeitenden Massen selbst müssen in den antifaschistischen Selbstschutz einbezogen werden. Die dazu notwendigen Strukturen können und müssen (ähnlich wie in der Situation, die Trotzki in dieser Broschüre beschrieb) zu Organen der Selbstorganisierung und des Kampfes gegen die Kürzungsdiktate der griechischen und europäischen Bourgeoisien werden. Dazu ist es jedoch nötig, eine konsequent revolutionäre Partei der ArbeiterInnen und der Jugendlichen in Griechenland aufzubauen, die in der Einheitsfront gleichzeitig für die breiteste Einheit der ArbeiterInnenklasse gegen die faschistische Gefahr und gegen die reformistischen Führungen der Massenparteien für eine revolutionäre Perspektive, für eine ArbeiterInnenregierung als Schritt hin zur Diktatur des Proletariats kämpft.

Aus der kampflosen Niederlage der am besten organisierten ArbeiterInnenbewegung der Welt im Jahr 1933, und angesichts der Weigerung der stalinisierten Komintern, irgendwelche Lehren daraus zu ziehen, schlussfolgerten Trotzki und seine AnhängerInnen, dass der Kampf für den Aufbau einer neuen, Vierten Internationale notwendig war. Der Wiederaufbau der Vierten Internationale ist auch heute nötig, um den Faschismus zu besiegen und eine Antwort auf die Krise im Sinne der ArbeiterInnen und Jugend zu geben.

***

Der vorliegende Text „Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats“ ist Teil der Schriften Leo Trotzkis über die Situation in Deutschland vor und nach dem Aufstieg des Faschismus‘. Trotzki verfasste diese Schrift im Januar 1932 auf der türkischen Insel Prinkipo, auf der er aufgrund seiner Gegnerschaft zu Stalins Regime zwischen 1929 und 1933 im Exil lebte.

Der britische Marxist Perry Anderson schrieb über Trotzkis Schriften über Deutschland, dass „deren Qualität als konkrete Untersuchung einer politischen Situation in der Geschichte des historischen Materialismus“ einzigartig sei. Trotzki konnte seine Analyse entwickeln, obwohl er vom tagtäglichen Kampf der deutschen ArbeiterInnen abgeschnitten war: „Am internationalistischen Charakter seiner Interventionen, die der deutschen Arbeiterklasse eine Waffe gegen die sie bedrohende tödliche Gefahr in die Hand geben sollten, hielt Trotzki auch für den Rest seines Lebens fest.”[12] Es ist umso erstaunlicher, dass diese Schriften erst 1971 in deutscher Sprache in Buchform herausgegeben wurden.[13]

Noch heute sind Trotzkis Schriften in Deutschland weitgehend unbekannt. Mit der Herausgabe ausgewählter Schriften im Trotzki-Archiv wollen wir einen Beitrag dafür leisten, dass die politischen Schlussfolgerungen, die Trotzki im Kampf gegen den Faschismus und für eine sozialistische Revolution auf weltweitem Maßstab zog, einem breiteren Publikum bekannt werden, denn sie sind heute, angesichts der größten weltweiten Krise des Kapitalismus seit 80 Jahren, relevanter als je zuvor.

Ende Januar 2013

Diese Broschüre wurde von J. Frankel ins Deutsche übersetzt und von der Linken Opposition der KPD herausgegeben. Die vorliegende Version entstand auf Grundlage der Transkription von Einde O’Callaghan für marxists.org aus dem Jahr 2008. Wir haben zahlreiche Korrekturen vorgenommen und die Rechtschreibung aktualisiert sowie die Fußnoten erweitert.

Weiter zu “Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats

    Fußnoten

    [1]. Bis Mitte 1932 wurden rund 67.000 Exemplare der Broschüren Trotzkis in Deutschland verkauft. Seine Artikel erschienen in erster Linie in der Zeitung Permanente Revolution, die von der Linken Opposition der KPD mit einer Auflage von 5.000 Exemplaren pro Woche herausgegeben wurde. Quelle: Anton Grylewicz: Die Entwicklung der deutschen Opposition. In: Annegret Schüle: Trotzkismus in Deutschland bis 1933. „Für die Arbeitereinheitsfront zur Abwehr des Faschismus“. Köln 1989.

    [2]. Leo Trotzki: Die Wendung der Komintern und die Lage in Deutschland.

    [3]. Leo Trotzki: Die Tragödie des deutschen Proletariats. In: Ebd.: Porträt des Nationalsozialismus. Essen 1999. S. 292.

    [4]. Diese Broschüre, Kapitel 13.

    [5]. Vgl.: Marcel Bois: Die „(Vereinigte) Linke Opposition“ 1930 – 1933. Unveröffentlichte Magisterarbeit an der Universität Hamburg. 2003. S. 96-102.

    [6]. Die Schmetterlinge: Hitler Blues.

    [7]. ALI: „Her zu uns!“ Zur historischen Antifaschistischen Aktion von 1932.

    [8]. Bernd Langer: 80 Jahre Antifaschistische Aktion. Göttingen 2012. S. 7.

    [9]. Veröffentlicht in der Broschüre Block fascism! S. 16-26. Auch auf Englisch in International Socialism Nr. 137.

    [10]. Marcel Bois und Florian Wilde: Durch gute Arbeit überzeugen. In: Marx21. Nr. 3. Berlin 2007.

    [11]. MLPD: Vor 30 Jahren: Errichtung der sozialfaschistischen Diktatur in Polen.

    [12]. Perry Anderson: Ìber den westlichen Marxismus. Frankfurt am Main 1978. S. 141-42.

    [13]. Leo Trotzki: Schriften über Deutschland. Herausgegeben von Helmut Dahmer. Frankfurt am Main 1971.

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